Blutfrost: Thriller (German Edition)
der vielen unklaren Untersuchungsergebnisse nicht doch langsam an der Zeit, eine Herzoperation zu erwägen? Wir müssen der Sache doch auf den Grund gehen.«
Er sah sie irritiert an. Aus ihren Augen kam jetzt kein göttliches Licht mehr, sondern Finsternis, ihre stecknadelkopfgroßen Pupillen waren wie schwarze Schächte.
»Mrs. Levine, Ihre Tochter braucht keine Herzoperation.« Er zögerte etwas, ehe er mit leicht geneigtem Kopf sagte: »Es wird Sie doch wohl freuen, das zu hören?«
Als meine Mutter ihm die Antwort schuldig blieb, fuhr er fort: »Wir könnten allenfalls in Erwägung ziehen, sie noch einmal mit Blick auf ein mögliches Frühstadium einer Mitralklappeninsuffizienz zu untersuchen.«
»Das ist doch nicht zu fassen!«, schimpfte meine Mutter jetzt doch und ließ sich theatralisch mit der Hand auf der Stirn nach hinten auf ihren Stuhl fallen. »Sie wollen sie also nicht näher untersuchen und eine Herzoperation vornehmen?«
»Alle Werte Ihrer Tochter liegen im normalen Bereich …«
»Ich dachte, wir wären uns darüber einig gewesen, dieser Sache nun endlich wirklich auf den Grund zu gehen?«
»Wir kriegen kein Ergebnis, indem wir ein vollständig normales Herz operieren. Das Beste wird sein, erst einmal abzuwarten. Entweder werden die Symptome Ihrer Tochter mit der Zeit deutlicher, sodass wir Klarheit bekommen, oder das Ganze verliert sich vollkommen.Zum jetzigen Zeitpunkt sollten Sie alle weiteren Untersuchungen vergessen. Die sind einfach nicht nötig.«
Der effektive Michael schwang herum und ging zur Tür. Meine Mutter warf sich auf dem Stuhl nach vorn und brüllte: »Sie verantwortungsloser Mensch! Ich werde Sie verklagen, wenn sie irgendwann tot umfällt. Sie sind doch verrückt, wenn Sie nicht erkennen …« Die Tür fiel ins Schloss, und meine Mutter drehte die Lautstärke noch ein bisschen weiter auf: »Verdammt noch mal! Meine Tochter ist krank!«
Unten im Auto schlug sie mit dem Kopf dreimal gegen die Scheibe und schrie, dass ich alles verbockt und meine letzte Chance vertan hätte. »Du hast bestimmt wieder irgendeinen Unsinn erzählt, während ich nicht da war, du Miststück!« Ihre Wut ebbte auch während des langen Heimwegs nicht ab. Erst als sie zu Hause war, beruhigte sie sich wieder, und als ich in mein Zimmer schlich, hörte ich ihre ruhige Stimme am Telefon:
»Guten Tag, meine Tochter muss von einem Herzspezialisten auf eine mögliche Mitralklappeninsuffizienz untersucht werden.«
– E
Wut und Verärgerung kochten in mir hoch. Okay, es konnte ja sein, dass »E« eine beschissene Kindheit mit einer komplett verrückten Münchhausen-Mutter hatte, aber verdammt noch mal: WAS HATTE ICH DAMIT ZU TUN? Frustriert schloss ich die E-Mail. Hätte ich doch nur eine Antwort auf diese Frage. Ich stand auf, ging zu meiner Bürotür und trat dagegen.
Poul steckte den Kopf in mein Büro und sagte, dass er den Leichnam jetzt in das Sektionszimmer brachte. Ich sah ihn verärgert an. Dann klingelte das Telefon. Es war noch einmal Fyn Nielsen.
»Ich bin es wieder, meine Liebe«, sagte er und half meiner Laune spontan auf die Sprünge. Es war verdammt lange her, dass mich jemand so genannt hatte.
»Ich wollte Ihnen nur sagen, dass wir jetzt loslegen können. Das Gutachten der Rechtsmedizinischen Vereinigung ist gekommen und stützt Ihre Schlussfolgerungen.«
»Und nicht die der Brandwundenexperten?«
»Nope.«
Und da verstand ich mit einem Mal den Ausdruck »vor Stolz platzen können«. Es fühlte sich nämlich wirklich so an, als würde ich schlagartig breiter und größer werden, sodass meine Haut sich verdammt spannen musste.
»Wissen Sie, was Sie sind?«
»Ihre Lieblingsrechtsmedizinerin?«
»Genau. Der Staatsanwalt stellt gerade den Haftbefehl aus, und dann fahren wir. Vielen Dank, Maria.«
Meine gute Laune hielt den ganzen Tag und wurde auch nicht durch die halbe Stunde beeinträchtigt, die ich im Odenser Gericht verbrachte, um eine Zeugenaussage in einem Vergewaltigungsprozess zu machen. Kurz vor Feierabend ging ich auf die Toilette, da ich schon länger dringend musste. Ich war ziemlich überrascht, als ich dort auf Nkem stieß, die sich vor dem Spiegel schminkte. In all den Jahren, die ich sie kannte, hatte ich sie nie mit Make-up gesehen. Dieser verdammte Volvomann!
»Ich dachte, Neger schminken sich nicht?«, sagte ich und verschwand in einer Toilettenkabine.
»Hmm«, sagte sie langsam. »Das tust du doch auch manchmal.«
»Ja«, rief ich aus der Kabine. »Aber ich
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