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Blutfrost: Thriller (German Edition)

Blutfrost: Thriller (German Edition)

Titel: Blutfrost: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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Leben
    Werde immer bei dir sein
    Ich wischte den roten Plastiktresen diskret mit einer Serviette ab, als sie mich nach dem Dressing fragte, das ich haben wollte.
    »Crème fraîche«, sagte ich enttäuscht. Eigentlich müsste sie sich daran doch erinnern.
    »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich die Musik lauter mache?«
    Ich schüttelte den Kopf. Bei mir zu Hause darfst du alles tun .
    Es hörte nicht auf, es hörte nie auf. Ich musste einfach damit leben, mich auf die Gegenwart konzentrieren, diese Falafel essen. Sie zwinkerte mir zu, als sie mir das Essen reichte, und sang weiter.

    Mein Inneres will zerspringen,
    sehnt sich nur nach dir
    Würde eine Tochter so etwas tun? Zwinkern? Ich dachte nach, hatte aber keine Ahnung. Als ich in den Spiegel hinter ihr blickte, sah ich sie vor mir, wie sie sich die Zähne putzte, ins Bett ging – oder wie sie morgens im Schlafanzug in die Küche geschlurft kam, um sich einen Tee zu machen, wie Emilie das immer gemacht hatte.
    »Du musst dir helfen lassen«, hatte Nkem gesagt, als ich ihr gestanden hatte, dass es nicht geholfen hatte, den Mann gejagt zu haben, der Emilie ermordet hatte – die Tochter einer anderen Frau, von der mein krankes Hirn mir eingeredet hatte, es sei meine. Ich hatte ihm mein Obduktionsmesser ins Auge gestochen und zugesehen, wie er von einem anderen ermordet worden war, bevor dieser dann mit einem Messer auf mich losgegangen und mich durch den Schwarzwald gejagt hatte, sodass ich vierzehn Tage in einem Krankenhaus in Freiburg hatte verbringen müssen. Nichts hatte geholfen. Es hatte meine Sehnsucht nicht gelindert, und die alte, bohrende Einsamkeit war zurückgekehrt, kaum dass ich wieder klar hatte denken können. Es war nicht zu ertragen, sodass ich mir immer gleich eine neue Tochter erschuf, wenn ich ein Mädchen in Emilies Alter sah. Sie war etwa neunzehn gewesen. Ich stellte mir sie als Baby vor und sah mir immer wieder all die Bilder in den zehn dicken, imaginären Fotoalben meines Kopfes an. Welche Probleme hatte sie als Teenager gehabt? Ich dachte an ihren ersten Freund, an ihren zweiten, hörte, wie ich ihr ständig und immer wieder Ratschläge gab. Jämmerliche Gedanken, jämmerliches Ich.
    »Und, sind sie jetzt weg?«, war das Erste, was Nkem mich gefragt hatte, als ich mit all meinen Verbänden und dem Blut fremder Menschen in meinen Adern aus Freiburg zurückkam.
    »Sie? Wer?« Ich sah weg. Sie packte mein Kinn und drehte mein Gesicht zu ihr, sodass ich in ihre schwarzen, befehlenden Augen blicken musste.
    »Diese Gedanken, diese Fantasietochter?«
    Ich zuckte mit den Schultern und versuchte erneut, meinen Blick abzuwenden, aber sie hielt mich am Kinn fest.
    »Du musst das mal laut aussprechen: Ich habe nie eine Tochter gehabt. «
    »Ich habe nie eine Tochter gehabt.« Gott, es war peinlich, dass sie mich zu so etwas zwang. Und es enttäuschte mich, weil es so dumm erschien. Glaubte sie wirklich, dass …
    »Gut«, Nkem legte den Kopf zur Seite. »Glaubst du das denn auch?«
    Ich zuckte wieder mit den Schultern.
    »Es ist doch eigentlich ganz harmlos, sich so etwas vorzustellen«, murmelte ich trotzig und erinnerte mich selbst an die Fantasien, die mein Leben gesteuert und mich fast umgebracht hatten.
    »Das ist krankhaft«, schimpfte sie wütend, und ich konnte es kaum ertragen. »Sieh dich doch an!« Sie drehte mich brutal zum Spiegel, der neben einer ihrer afrikanischen Masken hing. Ich musterte mich selbst. Blass und eingefallen.
    Ich hasste das Wort. Krankhaft . Und ich hasste sie, diese banale Kuh.
    »Ist schon okay«, sagte ich, »so schlimm ist das nicht.«
    Auch Doktor Glas hatte Fantasien. Doktor Glas war wie ich. Während ich dasaß und den Blick dort draußen im tiefen Sommergrün versinken und ausruhen ließ, glitten meine Gedanken in eine Fantasie hinüber, mit der ich mich zuweilen amüsiere.
    Ich schluckte den letzten Bissen Falafel herunter und knüllte das Papier zusammen.
    »Hast du inzwischen mit deinem Medizinstudium angefangen?«, fragte ich Sarah, die lächelnd nickte.
    »Und, gefällt es dir?«
    »Bla, bla, bla«, antwortete sie glücklich.
    Sonst gab ich mich immer distanziert, kühl und sperrig, aber sie sollte mich mögen, hier ging es für mich fast um Leben und Tod; sie sollte mit mir reden, sich mir anvertrauen, sich wünschen, mit mir zusammen zu sein. Sie sollte sich danach sehnen,in meinem komplett leeren Gästezimmer aufzuwachen, und mir vom Flur ihr glückliches Tschüss zurufen, wenn sie sich morgens schon

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