Blutfrost: Thriller (German Edition)
schuldig plädierten. In der Anklageschrift hieß es:
Daniel und Eva Sommer sind angeklagt des
Verstoßes gegen §246, Absatz 1, sowie in Teilen gegen §23, der gemeinsamen Körperverletzung in einem besonders schweren Fall sowie der Mitwirkung an einer Misshandlung unter besonderen Umständen, geschehen am 28. Februar dieses Jahres zwischen 12 und 14 Uhr. Ihnen wird vorgeworfen, eine stark basische Flüssigkeit über Josefine Kamilla Sommer ausgegossen zu haben, worauf diese sich schwerste Verätzungen unter anderem am Oberkörper und im Gesicht zugezogen hat.
Ich warf die Kippe aus dem Fenster, stieg aus und navigierte durch den heftigen Wind in Richtung Karoly und Fyn, denen ich höflich zunickte, während ich hoffte, wortlos an ihnen vorbeigehen zu können. Karoly aber packte brutal meinen Arm und hielt mich fest. »Also wirklich, es ist schon verrückt, wie ähnlich Sie und dieser Pisse-Doktor sich sehen. Ich habe ihn eben erst richtig gesehen, als er mit seiner Frau ins Gericht gegangen ist. Man könnte meinen, Sie wären Zwillinge, eineiige noch dazu.« Er wandte sich an Fyn Nielsen und sagte kichernd: »Siamesische Zwillinge!« Ich sah ihn an, befreite mich aus seinem Griff und ging mit zum Zerreißen gespannten Nerven über die vornehme Granittreppe nach oben in den zweiten Stock, wo ich nach kurzer Wartezeit in den Zeugenstand geführt wurde, falls man das kleine Tischchen in der Mitte des Raumes so nennen konnte. Der Saal hatte den Charme eines großen Klassenzimmers, sah man einmal von den PH-Lampen und den Arne-Jacobsen-Tischen ab.
Ich war unruhig. Wusste Karoly etwas? Oder war er nur so dumm und primitiv wie immer? Aus den Augenwinkeln sah ich ihn und Fyn Nielsen den Raum betreten.
Aufgrund des großen Medieninteresses, das dieser Fall weckte, fand die Verhandlung im größten Raum des Odenser Gerichts statt. Der frisch renovierte Gerichtssaal roch nach nassem Hund und war bis auf den letzten Platz besetzt. Was nicht erstaunlich war, schließlich war der Fall im Lokalradio und in den Zeitungen ausführlich diskutiert worden. Seltsam, merkwürdig, mystisch, unbegreiflich waren einige der Worte, die die Leute nutzten, wenn sie über diesen Fall sprachen. In den Medien wurde das Geschehene immer als schrecklich und spektakulär tituliert, weil die Misshandlung für Josefine lebenslange Konsequenzen haben würde und weil sowohl Polizei als auch Rechtsmedizin offensichtlich schockiert waren von dem grausamenCharakter des Täters und deshalb alles daran gesetzt hatten, den Schuldigen zu finden. Die Sekretärinnen waren sich – wieder einmal – einig, dass die Mutter und der Vater Mitglieder einer obskuren Sekte sein mussten, die ihre Gedanken beeinflusst hatte. In Wirklichkeit war der Fall gar nicht so spektakulär oder schrecklich. Fast einmal im Monat hatte ich mit Fällen zu tun, deren Brutalität sich durchaus mit dem messen konnte, was Josefine angetan worden war, die aber trotz ihrer Abartigkeit und grausamen Natur nicht das Interesse der Presse und damit auch nicht der Öffentlichkeit weckten.
In den letzten paar Monaten hatte ich jeden Tag die Gerichtsmitteilungen überprüft, um zu erfahren, ob die Verhandlung angesetzt worden war. Natürlich würde ich das auch von offizieller Seite erfahren, da ich ja eine Aussage machen musste, aber meine Ungeduld war einfach zu groß. Als es schließlich so weit war, wuchs meine Nervosität ins Unermessliche. Ich wusste nicht mehr, wie oft ich mittlerweile am Haus meines Bruders vorbeigegangen war und in der Hoffnung, etwas zu sehen, in seinen Garten geblickt hatte. Dabei hatte ich keine Ahnung, was ich dort eigentlich zu sehen erhoffte. Mein Hunger, alles über Daniel zu erfahren, war einfach unstillbar. Ich sah eine Möglichkeit, Gerechtigkeit zu bekommen, nicht nur für Josefine, sondern auch für mich. Ständig stellte ich mir Daniels ergrautes, altes Gesicht hinter den Gitterstäben des Knasts vor. Dort gehörte er hin mit seinem narzisstischen, düsteren Charakter, und diese Fantasie erfüllte mich mit Zufriedenheit. Noch hatte ich keine Verwendung für mein Wissen über seine entzogene Zulassung. Aber es war immer gut, noch etwas in der Hinterhand zu haben.
Polizei und Anklagevertretung glaubten, entscheidende Beweise vorgelegt zu haben, dass ein Verbrechen im eng begrenzten Bereich der Terrasse geschehen war und nur zwei Personen alsTäter infrage kamen, nämlich die Mutter und der Vater, einzeln oder gemeinsam. Eigentlich mussten beide wissen,
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