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Blutfrost: Thriller (German Edition)

Blutfrost: Thriller (German Edition)

Titel: Blutfrost: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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hingehockt und presste beide Beine mit den Händen zusammen. Noch in der Hocke hielt ich nach dem Übeltäter Ausschau. Es war die überdimensionierte Fußstütze eines monumentalen Rollstuhls. Ich richtete mich langsam auf und sah, dass ein Mann Mitte fünfzig in diesem Rollstuhl saß, den ich auch nach längerer Begutachtung nur als eine Art Wohnmobil bezeichnen konnte.
    Ich hatte nie eine große Sache aus meiner ästhetischen Idiosynchrasie gemacht, wie ich das nannte, aber ich ekelte mich vor Rollstühlen. Sie waren mir ganz einfach zuwider, ich verabscheute sie aus tiefster Seele, was sich ungerechterweise natürlich auch auf diejenigen bezog, die darin saßen. Es war unbegreiflich, wie man in einer derart auf Hochglanz polierten Epoche, in der auch die kleinsten Fehler wegretuschiert wurden, nicht in der Lage war, einen wenigstens ansatzweise schönen Rollstuhl herzustellen. Diese Gedanken meldeten sich diesmal jedoch nicht. Ich war viel zu sehr davon gefangen, den Mann anzustarren, der mich mit seinen freundlichen Augen besorgt und ein bisschen nachsichtig musterte. Freundlich und irgendwie magnetisch.
    »Haben Sie sich verletzt?«, wiederholte er. Das irritierte mich. Eigentlich sollte er nicht reden. Ich ließ meine Augenüber seinen Körper schweifen. Er war groß, nicht dick, aber klappte man ihn auseinander, maß er sicher einen Meter neunzig. Oder mehr. Ein richtiger Hüne.
    »Ich glaube nicht«, sagte ich und fühlte mich plötzlich wie benebelt. Diese Freundlichkeit in seinem Blick, diese Freigebigkeit …
    »Und Sie, was ist mit Ihnen passiert?«
    Er lächelte, ohne seinen musternden Blick von mir zu nehmen.
    »Ach, das ist lange her.«
    Ich massierte mein Schienbein mit der Rückseite meines anderen Beins. Das Gesicht des Mannes strahlte Intelligenz und Ruhe aus; er trug ein hellrotes, teuer aussehendes Polohemd. Dieser Mann war etwas ganz Besonderes, sagte mein Körper mir. Sein weicher, blauer Blick war so durchdringend und forschend, dass ich fast schüchtern wurde.
    »Was machen Sie hier, sind Sie inkontinent?« Sein ungewöhnlich großer, fast skulpturiert wirkender Mund lächelte mich an.
    »Was?« Ich sah mich um. Was war das denn für ein Gespräch? »Nein, wie kommen Sie denn auf die Idee?«
    »Was macht eine schöne Frau in Ihrem Alter dann im Kontinenz- und Beckenbodenzentrum?«
    »Gute Frage«, sagte ich fast tonlos, da mein Anliegen beinahe ebenso grenzüberschreitend war wie Inkontinenz. Hätte ich nur einen Arztkittel angezogen.
    »Und was treibt ein behinderter Mann hier?«
    »Blasenentzündung«, seufzte er und zog mit seinen gekrümmten Fingern mühsam sein Hosenbein hoch. Ein Urinbeutel kam zum Vorschein. »Ich habe einen Katheter im Bauch. Die reinste Bakterienfabrik.«
    Ich starrte auf die durchsichtige Plastiktüte, die an seinen Unterschenkel geklebt war und wenige Zentimeter Flüssigkeitenthielt, ehe ich ihm wieder ins Gesicht blickte. Es lächelte noch immer auf seine ganz spezielle Weise. Der Typ flirtete mit mir. Es war unglaublich, dieser Mann saß mit seinem zusammengefalteten Hünenkörper in seinem hässlichen Rollstuhl, zeigte mir seinen Urinbeutel und flirtete mit mir.
    Was sagte man dazu?
    Noch ehe ich wusste, was ich darauf erwidern sollte, sagte er:
    »In meiner Hemdtasche ist meine Visitenkarte. Seien Sie doch so gut und holen sie heraus, und rufen Sie mich an, wenn Sie Zeit haben.«
    Sprachlos und mit weit aufgerissenem Mund starrte ich ihn an. Und trotzdem glitten meine Finger in seine Hemdtasche, sodass ich sein Herz schlagen fühlte, als ich eine der beiden Visitenkarten nahm.
    »Dann sehen wir uns«, sagte er, aktivierte irgendeine Funktion an seinem Rollstuhl und rollte surrend über den Flur davon. Ich sah ihm nach, bis er im Aufzug verschwunden war. Sterne leuchteten weiter, auch wenn sie längst verglüht waren. Phantomschmerzen traten auch dann noch auf, wenn das Bein längst amputiert war. Für einen Moment war mein Hirn wie ein schwarzer Bildschirm, ich stand einfach nur da und starrte in den leeren Flur. Dann trat plötzlich ein Mann aus einem der Räume und blieb in eine Akte vertieft auf dem Flur stehen. Es war unverkennbar Daniel, oder vielmehr eine etwas ältere Ausgabe von ihm. In der Ambulanz war ich mir noch nicht sicher gewesen, ob es wirklich er gewesen war, der mit den Händen über dem Gesicht auf dem Stuhl gekauert hatte. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr.
    Nachdem ich gestern die Notaufnahme verlassen hatte, war ich auf der Homepage der

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