Blutfrost: Thriller (German Edition)
Angeblich der Name seiner Frau, weil sie Krause zu deutsch findet.«
»Tja«, sagte mein Großvater, der das augenscheinlich nicht sonderlich interessant fand.
»Menschen im Berufsleben wechseln nicht einfach ihre Namen, bloß weil ihre Frauen ein Problem mit Deutschland haben.«
»Nee, vermutlich nicht«, sagte ihr Großvater und bat irgendwen hereinzukommen.
»Na dann. Du kannst gerne anrufen, wenn dir noch was in den Sinn kommt. Es stinkt mir ganz schön, ihm in einer so kleinen Scheißstadt wie Odense jederzeit über den Weg laufen zu können.« Die Wut keimte wieder in mir auf.
Als ich aufgelegt hatte, dachte ich über die Sache mit dem Namenswechsel nach. Im Netz fand ich schnell einen Urologen mit Namen Daniel T. Sommer. In Austin, Texas. Und die Nummer seiner Praxis. Ich rief ihn an, aber dort war es mitten in der Nacht, sodass ich nur seinen Anrufbeantworter erreichte, der mir die Öffnungszeiten der Praxis nannte. Daniel T. Sommer praktizierte also noch immer in Austin, während er zur gleichen Zeit eine Chefarztposition im Krankenhaus von Odense innehatte. Wenn es denn stimmte.
Ich musste damit aufhören. Ich durfte mich nicht wieder von ihm nach unten ziehen lassen, sondern sollte ihn ein für alle Mal vergessen. Und zwar lieber jetzt als gleich. Aber die Wut brannte unter meiner Haut wie ein Schwarm Wespen, und die Vergangenheit überflutete mich wie eine Tsunamiwelle: Meine verstorbene Mutter saß quicklebendig mit ihrem Strickzeug vor mir. Sie blickte immer wieder auf und erzählte mir mit einem kleinen Lächeln, wie ich auf die Welt gekommen war. Rosarot und perfekt war ich mit einem kurzen Schrei aus ihr herausgeschlüpft, direkt in die Arme der Hebamme. Der Sturmin ihrer Gebärmutter war derweil mit zunehmenden Schmerzen weitergegangen, bis sie meinen Zwillingsbruder zwanzig Minuten später aus sich herausgepresst hatte, faltig wie ein alter Apfel und verschmiert von seinem eigenen dunkelgrünen Stresskot. Der Aufruhr war groß gewesen und hatte sie voll und ganz gefangen genommen. Als er einige Tage später, schwächlich wie er war, auch noch Gelbsucht bekam und tagelang in die Lichttherapie musste, hatte meine Mutter nur noch Kraft für ihn. Sie stillte und wickelte mich zwar, aber mit ihrem Herzen war sie ganz bei meinem armen, kranken Bruder, dessen verschissene Geburt das denkbar beste Abbild seiner Persönlichkeit war. Seine ersten Tage waren der passende Ausgangspunkt für sein lebenslanges symbiotisches Verhältnis zu unserer beständig verängstigten Mutter. Seit wir das Krankenhaus verlassen hatten, war und blieb er ihr Fixpunkt und hatte sich schon damals den Spitznamen »armer Daniel« gesichert.
Der arme Daniel stand wirklich immer im Mittelpunkt, gut behütet von allen. Es gab nichts, was diesem Jungen nicht schadete: Er reagierte allergisch auf Geschirrspülen, also durfte er mir stattdessen etwas auf dem Klavier vorspielen, denn logischerweise musste ich das Spülen übernehmen. Schließlich wurden meine Hände nicht blau, blass und zittrig, wenn ich sie in heißes Wasser tauchte, um Teller und Tassen, Töpfe und Pfannen einer vierköpfigen Familie von Schmier- und Soßenresten zu befreien, um sie wieder sauber im Schrank verstauen zu können. Daniels feine, lange Finger hingegen drohten beinahe abzufallen, als er mit neun Jahren zum ersten Mal den Versuch unternommen hatte, sich nützlich zu machen. Kaum dass er die Temperatur des Spülwassers getestet und seine verunstalteten Finger angesehen hatte, rannte er schreiend zu Mutter ins Wohnzimmer, um ihr seine zitternden, klatschnassen und für immer gezeichneten Hände zu zeigen, nachdem sieihn zum ersten Mal im Leben gebeten hatte, den Abwasch zu übernehmen. Dass das ein Ding der Unmöglichkeit war, war jetzt für alle offensichtlich. Stattdessen huschten seine zarten Finger über die Tasten des schwarzen Steinway, den er als Achtjähriger zum Geburtstag bekommen hatte. Das Resultat waren wenig perfekte Versionen zahlloser Klaviersonaten von Beethoven, Chopin oder Mozart, sodass ich beim Spülen immerhin gut unterhalten wurde. Sein musikalisches Gespür erinnerte an die Sensibilität eines LKW-Fahrers, was außer mir aber nie jemand laut auszusprechen wagte.
Auch den Rasen mähen konnte er nicht. Mit acht Jahren war er einmal gebeten worden, diese Aufgabe zu übernehmen, aber das Vibrieren hatte ihn so erschreckt, dass er laut aufgeschrien und die Handgriffe losgelassen hatte, sodass das Ungetüm frohen Mutes allein
Weitere Kostenlose Bücher