Blutgeld
An ihren Türen hingen nur die Hausnummern oder selbst das nicht. Denn diese Etablissements existierten nicht im normalen Universum der Bankenwelt. Sie waren wie schwarze Löcher, die Geld durch ihre unsichtbaren Türen einsaugten.
Lina ging die Rue des Banques entlang auf der Suche nach der Nummer elf. Der Morgenhimmel war genauso grau wie die Architektur, sodass die gesamte Straße im Schatten zu liegen schien. Lina hatte Mühe, die Nummern durch ihren Schleier hindurch zu erkennen. Sie hatte ihn noch am selben Morgen gekauft, zusammen mit einem nüchternen Geschäftskostüm und einem Kopftuch, um ihre Rolle als Frau des Orients, die gerade ihren geliebten Onkel verloren hat, noch überzeugender zu gestalten. Es war schwierig, durch den Spitzenstoff hindurchzusehen. Weiter oben in der Straße konnte sie ein paar Männer in Mänteln ausmachen, die Banker zu sein schienen, im Begriff, ihre Zählhäuser zu betreten. Sie ging weiter die Straße hinauf. Sie kam an der Nummer sieben vorbei. Auf dem Schild stand LEBON . Die Nummer neun war C & CIE . Daneben, in einem Gebäude, das noch grauer als seine Nachbarn aussah, befand sich ein schlichter Eingang mit einem schweren Messingklopfer und einem Schild, auf dem einfach nur M stand.
Lina stand vor der Tür und probte ein letztes Mal ihren Text. Sie hatte sich auf ihre Rolle sorgfältig vorbereitet, und jetzt, kurz bevor der Vorhang aufgehen sollte, fühlte sie sich fast mutig. Sie hob den Messingklopfer, spürte sein Gewicht in ihrer Handfläche und ließ ihn herabfallen. Die Tür ging sofort auf. Eine gutgekleidete junge Frau, die dort auf Linas Ankunft gewartet zu haben schien, fragte sie nach ihrem Namen und bat sie dann, mitzukommen. Sie gingen nach links einen schmalen beigefarbenen Korridor entlang, dann rechts an drei kleinen Türen vorbei. Vor der letzten blieb die Frau stehen, öffnete sie und forderte Lina mit einem Kopfnicken auf, den kleinen Konferenzraum zu betreten. Dann schloss sie die Tür und ließ Lina allein. Es war kaum ein Wort gewechselt worden.
Der Konferenzraum war einfach und wohnlich. Vor einem Schreibtisch stand ein bequemer, gutgepolsterter Sessel für den Kunden und hinter dem Tisch ein Holzstuhl mit einer geraden Lehne für den Bankier. Hinter dem Tisch war ein Fenster, das auf einen kleinen Garten hinausging, der nicht breiter war als der Konferenzraum. Eine kleine Backsteinmauer umgab den Garten auf drei Seiten, sodass niemand in den Raum hineinsehen konnte.
Lina starrte auf diesen geheimen Garten hinaus. Er gehörte offensichtlich zu der planmäßigen Verwirrung bei Crédit Mercier. Das Gebäude war wie ein Labyrinth angelegt worden, um die Privatsphäre der Bankkunden zu schützen. Jeder Besucher konnte sicher sein, während er in seinem persönlichen Konferenzraum saß, von keinem anderen Besucher gesehen zu werden. Der Ölminister von Sharjah würde nie erfahren, dass er dieselbe Bank benutzte wie der Finanzminister von Peru. Der Oberkommandierende der Armee in Kenia würde nie das Gesicht des Sprechers des russischen Parlaments sehen müssen. Sie waren heimliche Brüder. Lina setzte sich in den Sessel und wartete auf den Mann, der alle Gesichter sah.
Nach fünf Minuten ertönte ein sehr leises Klopfen an der Tür. Bevor Lina antworten konnte, betrat ein kompakter Mann den Raum. Er hatte ergrauende Haare, einen sorgfältig gestutzten grauen Schnurrbart und trug einen grauen dreiteiligen Anzug. Die einzige Andeutung von Farbe kam von seinen Augen, die einen eigentümlichen Blauton hatten und unberechenbar über der verbindlichen Nüchternheit seines Gesichts und seiner Gestalt zu leuchten schienen. Er schloss hinter sich die Tür, bevor er die Hand ausstreckte und sich vorstellte. «Mercier», sagte er mit einer winzigen Verbeugung. Keinen Vornamen, keinen Titel. Er hatte die delikaten Manieren von jemandem, der sein Leben lang mit schmutzigem Geld umgegangen war, ohne sich jemals die eigenen Finger dreckig gemacht zu haben.
Lina hob den Schleier etwas an und murmelte: «Salwa Bazzaz.» Dann ließ sie ihn wieder vors Gesicht fallen. Mercier forderte sie auf, Platz zu nehmen, deutete mit der Hand auf ihren Sessel, wie der Chefkellner eines noblen Restaurants. Seine Taktik bestand darin, besser erzogen zu wirken als seine Gäste und gleichzeitig ganz zu ihren Diensten zu stehen.
«Also, Miss Bazzaz», sagte er. «Wie kann ich Ihnen helfen?»
Lina überlagerte ihr Englisch mit einem irakischen Akzent, so wie sie als Kind in England
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