Blutgeld
musste. «Ich bin am Leben», sagte sie.
«Haben Sie dir wehgetan?»
«Nein. Sie haben es versucht. Aber sie haben mich nur stärker gemacht.»
Hoffman wartete darauf, dass sie mehr sagte, aber sie hatte noch keine Worte für das, was sie durchlebt hatte. Er sah sie stumm an. Die Kluft zwischen ihrer Erfahrung und seiner war zu groß und schwer zu überbrücken. Es war der richtige Moment für Smalltalk – weil es für große Worte noch zu früh war.
«Wie war dein Flug von Bagdad?», fragte er.
«Himmlisch», sagte sie. «Wie eine Flucht aus der Hölle. Hast du meine Rettung arrangiert? Ich war mir nicht sicher. Ich habe gehofft, du seist es, aber da waren so viele Saudis am Flughafen.»
«Ja», sagte Hoffman. «Ich war’s.»
«Hat es dich viel gekostet?»
«Ja, es hat mich sehr viel gekostet.»
«Wie hast du es gemacht?»
«Ich habe einen saudischen Freund, der Beziehungen in Bagdad hat. Er ist kein besonders guter Mensch. Aber um jemanden aus der Hölle herauszubekommen, muss man mit dem Teufel verhandeln.»
«Woher hast du gewusst, dass ich in Bagdad war?»
«Das hat mir jemand gesagt. Es spielt jetzt keine Rolle, wer. Ich erzähl es dir ein andermal.» Er hielt inne. Für ihn gab es auch Dinge, die er nicht ausdrücken konnte. Er streckte die andere Hand nach ihr aus. Sie waren wie zwei Kinder, die im Dunkeln nach einander tasteten.
«Was war das für ein Gefühl, als sie dich da rausgeholt haben?»
Sie schloss die Augen. Sie wollte sagen, dass es voller Freude war, dass sie in die Hände geklatscht und ein Lied gesungen hatte. Aber sie musste ihm die Wahrheit sagen. «Zuerst habe ich überhaupt nichts empfunden. Ich hatte die Hoffnung aufgegeben. Ich glaube, das hat mich gerettet. Ich hatte aufgehört, Angst zu haben. Ich wusste, dass ich sterben würde, und ich war darauf vorbereitet. Und dann war es vorbei.»
«Wie war das vorher, im Gefängnis?» Er musste fragen, selbst wenn sie nicht antworten konnte. «Waren auch noch andere Leute da?»
«Ja», sagte sie. Und dann musste sie innehalten. Denn ihre Augen, die seit ihrer Rückkehr ins Land der Lebenden so trocken gewesen waren, standen jetzt voller Tränen. Sam streckte die Arme nach ihr aus, über den Abgrund des Schmerzes, den sie erlitten hatte, und drückte sie an sich.
«O Sam», sagte sie. «Es war so grauenhaft. Ich kann dir nicht sagen, wie grauenhaft es war. Ich schäme mich, hier zu sein, lebendig. Ich halte es nicht aus.» Sie brach in heftiges Schluchzen aus, und es dauerte lange, bis sie wieder aufhörte.
Hoffman bestellte Abendessen. Sie waren beide erschöpft nach so viel Weinen, und ihnen war leicht schwindlig, so wie es Leuten manchmal nach einer Beerdigung geht. Sie mussten lachen und essen, um ihre Sinne wiederzuentdecken. Der Kellner kam mit einem riesigen Teewagen. Obenauf stand ein Kühler, in dem eine Flasche weißer Burgunder auf Eis lag, und unten war ein Ofen, in dem zwei Portionen Seezunge warm gehalten wurden.
Hoffman verzichtete auf einen Trinkspruch. Er hob einfach sein Glas. Lina gab ihm einen Kuss. Sie hatte von Hoffman immer das Bild eines Mannes mit Ecken und Kanten gehabt. Es war schön, jetzt etwas Weicheres, Traurigeres zu finden.
Während sie aßen, schilderte Lina die Ereignisse der vergangenen Woche. Sie berichtete ihm von der Flucht zu Helen in Blackheath; von der plötzlichen Abreise nach Genf; von dem Abend mit dem betrunkenen Fred Behr und dem Trick am Telefon mit dem armen Monsieur Marchand von der Organisation de Banques Suisses; von dem elektronischen Überfall am nächsten Tag auf die Dateien der OBS und der erstaunlichen Entdeckung, dass das Geld des Herrschers verschwunden war; und dann von dem Besuch bei dem Privatbankier Maurice Mercier. Hoffman lauschte ihrer Geschichte voller Bewunderung, schüttelte erstaunt den Kopf, als sie jede zusätzliche Ebene der Täuschung beschrieb, die sie benutzt hatte, um in das Netz der Finanzen des Herrschers einzudringen.
«Ich werde nochmal mit Mercier sprechen», sagte Lina. «Morgen früh um neun. Ich habe ihn heute angerufen und einen Termin ausgemacht.»
«Wieso?», fragte Sam. «Was hat das für einen Sinn?»
«Er hat gesagt, er hat mit dem Treuhänder gesprochen, der das Konto für den Herrscher geführt hat. Sie wollen mit mir reden.»
Hoffman starrte sie an und schüttelte dann verwundert den Kopf. «Du gibst nicht auf. Du bist immer noch hinter Hammud her.»
«Ja. Ich habe ein Gelübde abgelegt. In Bagdad. Ich möchte, dass du
Weitere Kostenlose Bücher