Blutgeld
mitkommst, Sam. Es kann sein, dass sie wieder auf mich warten. Ich brauche dich.»
Sam nickte, nicht weil er verstand, sondern weil er wusste, dass er keine Wahl hatte. «Sicher», sagte er. «Ich werde dein
Moukhabarat-Mann
sein.»
«Nein», sagte sie schnell. «Nicht das.» Das Wort löste Erinnerungen an ihre Peiniger im Qasr al-Nihayya aus. «Du wirst mein Anwalt sein.»
«Entschuldige», sagte Hoffman. Er erkannte, dass er vorsichtig sein musste. Die Erdschicht über den Gräbern war noch dünn. Er räumte die Teller vom Tisch ab und goss sich noch ein Glas Wein ein.
«Ich bade jetzt», sagte Lina. «Wir sehen uns später.»
Hoffman legte die Beine auf den Couchtisch und starrte hinaus auf die glitzernden Lichter von Genf. Er leerte eine halbe Schachtel Zigaretten, rauchte jede nur ein paar Züge lang, machte sie dann aus und zündete nach ein paar Minuten schon wieder die nächste an. Er wollte eigentlich die Flasche Wein austrinken, aber als er Lina nach ihrem Bad im Schlafzimmer herumrascheln hörte, überlegte er es sich anders. Er war sich noch nicht sicher, was sie von ihm wollte oder was er von ihr wollte, aber er musste es herausbekommen. Sie sang leise vor sich hin, ein irakisches Lied, das sie als Kind gelernt hatte.
Er klopfte an die Schlafzimmertür. «Kann ich reinkommen?»
«Ja», sagte sie. «Ich hab eine Überraschung für dich.»
Hoffman öffnete die Tür. Sie saß auf dem Bett, eingehüllt in einen überdimensionalen Frottee-Bademantel, der vom Hotel gestellt wurde. Um den Kopf hatte sie ein weißes Handtuch gewickelt, wie einen Turban. Als Hoffman sich neben sie setzte, wickelte sie das Handtuch mit einer schwungvollen Bewegung auf. Ihre Haare hatten wieder ihre natürliche kohlrabenschwarze Farbe. Mit ihrem kurzen, eng am Kopf zurückgekämmten Haar sah sie aus wie eine der antiken Büsten von Nofretete: Lippen, Nase, Augen – jeder Zug ihres Gesichts stolz und königlich.
«So schön», sagte Hoffman. «So schön.» Er legte den Arm um sie. Sie wich nicht zurück, aber sie erwiderte seine Umarmung nicht.
«Halt mich einfach fest», sagte sie.
Hoffman fing an, sanft ihren Rücken zu streicheln. Sie lehnte sich gegen ihn, und der Bademantel rutschte ihr ein paar Zentimeter von der Schulter herunter, sodass Hoffmans Hand jetzt die Haut auf ihrem Rücken berührte und nicht mehr den Stoff. Er massierte sie weiter, wanderte mit der Hand weiter nach unten und hielt dann plötzlich inne.
«Mein Gott, was ist das denn?» Er fühlte den rohen roten Striemen auf ihrem Rücken, wo das Elektrokabel sie getroffen hatte.
«Das ist Bagdad.»
Sie blieb lange reglos in seinen Armen liegen, den Kopf an seine Schulter gelegt, und sah dann zu ihm auf. «Fühlt es sich widerlich an?»
«Nein. Nur grausam.»
«Könntest du mit mir schlafen, nach alldem, was sie mit mir gemacht haben?»
«Ja», sagte er. «Und du mit mir?»
«Ich weiß es nicht … ich glaube schon.»
Er lehnte sich zum Nachttisch vor und machte das Licht aus, sodass es im Zimmer dunkel war. Er zog sich aus und wandte sich ihr dann wieder zu. Sie hatte den Bademantel ausgezogen und war unter die Decke geschlüpft. «Komm ins Bett», sagte sie.
Er legte die Arme um sie, versuchte anfangs, die Striemen auf ihrem Rücken nicht zu berühren, weil er annahm, dass es sie verunsichern würde. Aber er konnte es nicht verhindern. Sie reichten über den ganzen Rücken. Als er sie fester hielt, spürte er die offenen Wunden ihrer Brüste an seiner Brust und die Striemen auf der Rückseite ihrer Schenkel. Er musste sie ganz sanft halten, seine Finger waren wie Seide, seine Küsse ein lindernder Balsam. Lange Zeit berührte er sie nicht zwischen den Beinen, aus Angst davor, was ihre Peiniger ihr dort angetan hatten. Schließlich nahm sie seine Hand und führte sie ihren Bauch hinunter. Es war, als wäre ihr ganzer Körper in diese eine Stelle hineingeschmolzen. «Ich will dich», sagte sie.
Zwei Stunden später wurde Hoffman von einer Hand geweckt, die ihn zärtlich streichelte. Mit der Faszination, die frisch Verliebte für den Körper des anderen empfinden, beobachtete Lina, wie er allmählich wach wurde. «Mmmmmm», sagte er, halb wach. «Wer ist das?»
«Moo ani, al-wawi»
, sagte sie mit einem mädchenhaften Kichern, wie auf frischer Tat ertappt.
«Wie war das?»
«Ich hab gesagt: ‹Das war ich nicht. Das war der
Wawi
.› Das sagen kleine Kinder im Irak, wenn sie erwischt werden.»
«Was ist ein
Wawi
?», fragte er
Weitere Kostenlose Bücher