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Blutgeld

Blutgeld

Titel: Blutgeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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sind.»
    Lina wollte ihn bitten, ihr das zu erklären, aber Sam war herübergekommen und setzte sich auf die andere Seite neben Jawad. Er war begierig, den irakischen Dichter kennenzulernen, der bei den Darwishs die Menschen so in seinen Bann gezogen hatte. Er fing an, ihn über sein Leben und seine Werke auszufragen, und Jawad antwortete zurückhaltend, aber ehrlich. Während sich die beiden Männer unterhielten, dachte Lina über das nach, was Jawad soeben gesagt hatte. Es stimmte sicherlich, dass die Männer schwach waren. Das war in der arabischen Kolonie Londons nur allzu offensichtlich, wo selbst die wohlhabendsten und erfolgreichsten Männer die Moralvorstellungen von Zuhältern zu haben schienen. Und vielleicht stimmte es auch, dass die Frauen die Starken waren. Aber was Jawad gesagt hatte von den Frauen, die den Irak retten würden, das war albern. Der Irak war doch schon gerettet! Der Herrscher war tot.
    Die anderen Irakis versammelten sich jetzt um Jawad und baten ihn, einige seiner Gedichte zu rezitieren. Er legte die Hand aufs Herz und entschuldigte sich bei ihnen. Er würde sehr gerne mit ihnen zusammen seine Gedichte vortragen, vor allem heute Nacht, aber er habe gelobt, seine Werke erst dann öffentlich vorzutragen, wenn er wieder in seiner Heimat sei. Und das sei immer noch nicht möglich. Ein Seufzer der Enttäuschung ging durch den Raum, und man bat ihn nochmal um ein paar Verse. Schließlich erklärte sich Jawad bereit, etwas zu rezitieren. Es war kein eigenes Gedicht, sondern eines, das vor fast tausend Jahren von dem Dichter Ibn Zaydun verfasst worden war, der in Córdoba aufgewachsen war, aber den größten Teil seines Lebens fern von seiner Heimatstadt verbracht hatte. Es sei ein Gedicht über das Exil, sagte Jawad. Er rezitierte es in einem kräftigen Arabisch, das aus seinem gebrechlichen Körper hervortrat wie Wasser aus einer Wüstenquelle.
     
    «Gott hat Regen über die verlassenen Heimstätten derer geschickt, die wir geliebt haben. Er hat auf ihnen eine Blume gewebt wie einen Stern … Wie glücklich sie waren, jene Tage, die vergangen sind, Tage der Freude, als wir mit jenen lebten, die schwarzes, wogendes Haar hatten und weiße Schultern … Jetzt sprechen wir zum Schicksal, dessen Gunst entschwunden ist – dessen Gunst ich beklagt habe, während die Nächte vergingen – wie zart sein Hauch mich in meinem Abend berührt hat. Aber für den, der in der Nacht wandert, scheinen die Sterne noch: Grüße an dich, Córdoba, mit Liebe und Verlangen.»
     
    Als er geendet hatte, standen allen Irakis die Tränen in den Augen. Sie baten ihn, noch mehr vorzutragen, aber Jawad meinte, es sei zu spät und er habe am nächsten Morgen sehr viel Arbeit in seiner Stiftung zu erledigen. Und so ließen sie ihn gehen und versprachen, ihm Geld zu schicken, wohl wissend, dass sie ihr Versprechen nicht halten würden. Lina begleitete ihn zur Tür. Als sie sich verabschiedete, hatte sie immer noch Tränen in den Augen, aber der Dichter konnte sie nicht sehen.
    Nachdem Jawad gegangen war, stimmten die Irakis wieder Lieder an, machten noch mehr Champagnerflaschen auf und unterhielten sich über die Zukunft. Einer gab einen Trinkspruch auf den «Knabenkönig» aus, König Feisal, der bei der Revolution von 1958 umgekommen war, die den Herrscher an die Macht gebracht hatte. Jemand anders erhob das Glas auf das neue Parlament, wann immer es zusammentreten sollte, und ein weiterer wollte auf die neue Verfassung trinken, was immer in ihr stehen sollte. Sie schienen alles zu wissen, aber in Wahrheit wusste keiner irgendwas. Denn auch als der neue Tag anbrach, war es immer noch der Irak.

19
    In Washington brauchte man nur ein paar Stunden, um die Nachricht vom Tod des Herrschers zu verdauen. Bis zu den Nachrichten-Sondersendungen um 23 Uhr 30 hatten die Sender Expertenrunden organisiert, in denen man sich darüber einig war, dass seine Ermordung schon seit langem eine Frage der Zeit gewesen und das einzig Erstaunliche sei, dass er so lange an der Macht geblieben war. Die am ehesten in Frage kommenden Täter schienen muslimische Extremisten zu sein, denen es irgendwie gelungen war, die Präsidentengarde zu infiltrieren. Eine Gruppe von Exil-Irakern in Paris hatte sich sogar schon öffentlich zu dem Anschlag bekannt, und die iranische Regierung hatte eine knappe Stellungnahme abgegeben, in der zwar jegliche Mitverantwortung an dem Attentat dementiert wurde, die aber genau die entgegengesetzte Schlussfolgerung

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