Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutgeld

Blutgeld

Titel: Blutgeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
Vom Netzwerk:
Lederjacke und T-Shirt und war unglaublich froh, dem Club auf der anderen Seite des Flusses entronnen zu sein. Lina gab ihm einen Kuss und reichte ihm ein Glas Champagner. Sam ließ sich auf dem Boden nieder. Er schlug vor, auf «den neuen Irak» zu trinken, und alle stießen mit den Gläsern an. Jemand reichte ihm eine Messingpfeife mit libanesischem Haschisch, und er nahm einen langen Zug.
    «Mish battal»
, sagte Randa mit einem Kopfnicken zu Hoffman, als sie mit Lina in der Küche stand und noch ein Tablett mit gefüllten Weinblättern vorbereitete. «Gar nicht übel. Aber wieso ist er heute Abend hier? Bist du sicher, dass er kein Bulle ist?»
    «Natürlich ist er keiner», sagte Lina verträumt. «Er ist mein
amir ala faras abayad
.
Mein Prinz auf einem weißen Pferd.
Er wird mich retten. Bloß dass ich jetzt nicht mehr gerettet werden muss.»
    Randa flüsterte ihrer Freundin ins Ohr: «Wie ist er denn im Bett? Ich meine, ist er …» Sie machte eine Handbewegung.
    «Randa! Ich habe nicht mit ihm geschlafen!»
    «Dann ist er also schwul?»
    «Du bist krank! Wirklich. Er ist einfach ein netter, höflicher Amerikaner. Ich hab arabische Männer satt.»
    «Du bist ja betrunken», sagte Randa und tätschelte ihrer Freundin den Po. «Das ist es.»
    Als die Nacht lebhafter wurde, kramte Lina die alten Kassetten ihres Vaters heraus mit Musik von Nazem al-Ghazali. Der irakische Volkssänger war 1960 gestorben, bevor der Herrscher begonnen hatte, das kollektive Gedächtnis des Landes zu zerstören. Dieser Sänger war für jeden Iraki die Verbindung zur Vergangenheit. Er sang schlichte Volksballaden, einige davon zweihundert Jahre alt, begleitet von einer Flöte, die
nay
hieß, dem gitarrenähnlichen
oud
und dem Trommelschlag des
darbaki
. Seine Musik war eine Art irakischer Blues. Er rezitierte zu Beginn immer ein Gedicht, das dann in Gesang überging. Er erzählte von seinem Leben und von Liebe und Schmerz. Linas Lieblingslied war «Samara min Qawmi Aissa», «Die Dunkle vom Stamme Jesu». Es handelte von der Liebe eines Moslems zu einer Christin.
    Lina sang den Text mit al-Ghazali zusammen, wobei sie Sam gar nicht schüchtern ansah. «O du Schöne, vom Stamme Jesu, ich lege dir meine Liebe zu Füßen. Was bedeutet mehr, Liebe oder Religion? Zeig mir, wie hübsch deine Augen sind. Meine Augen sind die Augen eines Rehes.» Sam versuchte mitzusingen, in einem gebrochenen, rauen Arabisch. Die Exil-Iraker, die auf dem Boden versammelt waren, summten auch mit. Die meisten kannten das Lied aus ihrer Kindheit. Und dann standen alle auf, klatschten mit und tranken noch mehr Champagner.
    Gegen zwei klopfte Nabil Jawad an die Tür. Der Dichter war in sein übliches Schwarz gekleidet, und er wirkte traurig unter all den Feiernden. Er lehnte den von Lina angebotenen Champagner ab und bat um ein Glas Wasser. Mit seinen doppelt verhüllten Augen, durch die Blindheit und eine dunkle Brille, war es unmöglich zu wissen, was er dachte. Er entschuldigte sich bei Lina für sein spätes Kommen. Er hatte an einem Essay über arabische Demokratie gearbeitet, in der Hoffnung, die BBC oder die Voice of America würde es in dieser Nacht in ihren arabischsprachigen Programmen senden, aber sie hatten es abgelehnt. Lina setzte sich neben ihn auf die Couch, ergriff seine Hand und sagte ihm, es sei eine Ehre, ihn bei sich zu haben. «Ist es nicht wunderbar?», sagte sie. «Sie müssen heute sehr glücklich sein.»
    Jawad schüttelte den Kopf. «Noch nicht», sagte er. «Wer weiß, was als Nächstes kommt?»
    Lina wollte ihre Hand zurückziehen, aber Jawad hielt sie fester und dankte ihr so noch einmal für die Einladung. Er habe ihre Familie schon in Bagdad gekannt, sagte er. Und er war auf der Beerdigung ihres Vaters in London gewesen. Was mache sie jetzt? Lina erklärte, mit einiger Beschämung, dass sie für Nassir Hammud arbeite, aber dass sie sich überlege fortzugehen. Jawad nahm ihre beiden Hände in seine, als wollte er sie beschützen.
    «Ihre Einladung ist sehr mutig», sagte er.
    «Nein, ich bin nicht mutig. Das hätte ich schon längst machen sollen, aber ich hatte zu viel Angst. Jetzt ist es leicht. Es ist vorbei.»
    «Es ist noch nicht vorbei,
habibti
, und Sie sind sehr mutig.» Er streichelte ihre Hand und hielt sie dann wieder fest. «Wissen Sie, Lina, es sind die Frauen, die den Irak retten werden. Die Männer habe ich abgeschrieben. Sie sind alle korrumpiert worden. Die Frauen sind die einzig Starken, die noch übrig

Weitere Kostenlose Bücher