Blutgeld
noch den grauen Koloss des Old Executive Office Building sehen, dessen Fassade die Farbe eines Elefanten hatte. Er war im Verlauf der Jahre oft dort drinnen gewesen, um mit Mitgliedern des Stabes vom Nationalen Sicherheitsrat über Staatsangelegenheiten zu plaudern, die seine Arbeit als Anwalt berührten. Das war eine Form der Selbstrechtfertigung, der sich Hatton im Gegensatz zu den meisten anderen Anwälten bedienen konnte.
Raison d’état.
Eine Straße entfernt, in der G Street, befand sich die Innenstadtdienststelle der Nachrichtendienstgemeinde, die in dem unscheinbarsten Gebäude Washingtons untergebracht war. Hatton versuchte, diesem Gebäude aus dem Weg zu gehen, aus naheliegenden Gründen. Und das war nicht weiter schwierig, denn wenn die etwas brauchten, kamen sie zu ihm.
Als er mit seinem Fisch und seiner Melone fertig war, kehrte Hatton in seinen Tresorraum zurück und versicherte sich ein letztes Mal, dass alle Dokumente in Ordnung waren. Dann setzte er drei Telegramme auf, die am nächsten Morgen verschickt werden sollten. Das erste war an den Mann gerichtet, der viele Jahre zuvor zum Treuhänder für gewisse Konten bestimmt worden war, die von einer
banque privée
in Genf geführt wurden. Er bestätigte dem Treuhänder, dass die Vollmacht, die ihm bei der Einrichtung der Konten übertragen worden war, noch gültig sei und er daher nach wie vor die Verfügungsgewalt über die Konten ausübe. Das zweite Telegramm ging an den Privatbankier in Genf, der ebendiese Konten verwaltete, und kündigte ihm einen baldigen Besuch des Treuhänders an; zudem bestätigte er ihm alle bestehenden Vereinbarungen für die Verwaltung der Gelder. Das dritte und letzte Telegramm war an das Londoner Büro von Nassir Hammud adressiert und bestätigte, dass – wie zuvor besprochen – alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen worden seien.
Hatton schrieb den Text jeder Mitteilung auf Firmenpapier, das er in einen Briefumschlag steckte, den er danach in der Schreibtischschublade seiner Sekretärin wegschloss. Er hinterließ ihr die Anweisung, die drei Mitteilungen am nächsten Morgen verschlüsselt per E-Mail abzuschicken. Als er einige Minuten nach Mitternacht sein Büro verließ, sah Hatton, dass im Old Executive Office Building kein Licht mehr brannte. Wie üblich verschliefen die Bürokraten das Wichtigste.
20
Professor Sarkis kam als Erster aus Bagdad zurück und war einen Tag nach der Ermordung des Herrschers wieder in London. Die Büros waren wegen Trauer geschlossen worden, auf Anweisung des britischen Direktors, der dies unter den gegebenen Umständen für eine angemessene Geste hielt. Die Anweisung wurde umgehend von Professor Sarkis aufgehoben, der an diesem Morgen in aller Frühe seine Sekretärin bei allen irakischen Mitarbeitern anrufen ließ. Bei Coyote Investment würde an diesem Tag ganz normal gearbeitet, sagte sie schroff. Es werde erwartet, dass alle irakischen Mitarbeiter zur Arbeit erschienen. Professor Sarkis würde um halb elf in Mr. Hammuds Büro vor dem irakischen Personal eine Ansprache halten. Lina war überrascht, dass sie auch benachrichtigt wurde.
Die «vertrauenswürdigen Mitarbeiter» versammelten sich schweigend in Mr. Hammuds Büro. Die Feststimmung vom Vorabend war verflogen. Das Porträt des Herrschers über Mr. Hammuds Schreibtisch war immer noch da, jetzt nur mit Schwarz drapiert. Professor Sarkis betrat den Raum von seinem Büro nebenan und stellte sich vor der Gruppe auf. Er sah aus, als hätte er seit seiner Abreise aus London einen Monat in der Hölle verbracht. Sein früher dünnes Gesicht war jetzt aufgedunsen, und er hinkte. Seine ehemals schlauen Augen waren hinter einer dunklen Brille versteckt.
Er wurde auf beiden Seiten von zwei Irakis flankiert, die Lina noch nie gesehen hatte. Sie hatten die kalten Augen und die schlechte Haut von jungen Männern, die in Kasernen aufgewachsen waren. Alles an ihnen schrie nach Geheimpolizei. Die Anzüge, die zu neu waren, die vernarbten Gesichter, die nicht an tägliche Rasuren gewöhnt waren, die raubtierartige Anspannung ihrer Hände und Beine, während sie neben Professor Sarkis standen und auf den Fußballen wippten. So wie sie aussahen, war sich Lina nicht sicher, ob die beiden jungen irakischen Schläger Professor Sarkis’ Schergen oder Bewacher waren.
«Dies ist ein trauriger Tag», begann Professor Sarkis mit einem Kopfnicken zu dem schwarzdrapierten Bild über dem Schreibtisch. «Unser geliebter Herrscher ist nicht mehr
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