Blutgeld
unter uns, und ich weiß, dass allen arabischen Patrioten das Herz schwer ist. Aber wir werden unsere Pflicht tun, als Irakis und als Mitarbeiter dieser Firma. Wir werden mit unserer Arbeit fortfahren. Hat das jeder verstanden?»
Die Frage wurde mit einem allgemeinen Kopfnicken beantwortet. Yussef, der der neue Stichwortgeber zu sein schien, ergriff das Wort und sagte:
«Nam, sidi» – Ja, Herr
–, und einige andere junge Männer murmelten das Gleiche.
«Mr. Hammud kann heute nicht bei uns sein», fuhr Professor Sarkis fort, mit einem bestätigungsuchenden Blick zu den beiden jungen Männern. «Er wird längere Zeit fortbleiben. Aber ich habe von zuständiger Seite in Bagdad den Auftrag bekommen, Ihnen zu sagen, dass sich bei Coyote Investment nichts ändern wird. Das Geschäft muss weiterlaufen. Unsere Feinde werden uns belauern, aber der Geist des Herrschers wird siegen. Daraus folgt, dass loyale Mitarbeiter belohnt werden und illoyale Mitarbeiter bestraft. Noch irgendwelche Fragen?»
Natürlich gab es keine Fragen.
Lina zog sich in ihr Büro zurück und hütete sich davor, mit irgendjemandem zu reden. Es war ein Tag, an dem man lieber nicht auffiel, bis einem die Bedeutung dessen, was man gerade gehört hatte, klar wurde. Aber Randa konnte wie üblich nicht so lange warten. Um Viertel nach elf erschien sie in Linas Tür. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen von sechsunddreißig durchgefeierten Stunden.
«Shaku?»
, sagte sie. «Was sollte das denn alles?»
«Weiß ich nicht», sagte Lina.
«Wo ist Hammud? Wann kommt er wieder?»
«Weiß ich nicht», wiederholte sie.
«Wer waren denn diese widerlichen Typen neben Sarkis? Die sahen ja vielleicht aus! Mann o Mann!
Tula tula alnakhla, wa aqla aql al-sakhra!
» Es war ein spöttischer irakischer Ausdruck und hieß so viel wie «Groß wie ein Baum, aber mit dem Hirn eines Spatzen».
«Das reicht, Randa!», sagte Lina scharf. «Hör auf mit der Fragerei und den Bemerkungen. Die beiden sind gefährlich.» Ihre Freundin zog sich mit gesenktem Blick zur Tür zurück. Als Lina die Reaktion sah, schämte sie sich. Der Herrscher war noch keine zwei Tage tot, und schon begann wieder die Angst und die Verstellung. «Tut mir leid», sagte sie. «Es ist mir einfach unheimlich, weiter nichts.»
«Was ist hier los, Lina?», flüsterte Randa. «Ist das ein Coup?»
«Wirklich, ich hab keine Ahnung. Reden wir morgen darüber. Vielleicht wissen wir’s bis dahin.»
Kurz vor fünf, als Lina gerade gehen wollte, wurde sie zu Professor Sarkis zitiert. Er empfing sie in Mr. Hammuds Büro, hinter dem großen Schreibtisch. Die beiden irakischen Schläger standen bewegungslos zu beiden Seiten neben ihm. Das Bild des Herrschers, immer noch mit Schwarz drapiert, hing düster über allen Anwesenden. Als Lina den Raum betrat, hustete Professor Sarkis gerade. Er wirkte gebrechlich. Lina fragte sich, was sie mit ihm in Bagdad gemacht hatten.
«Setzen Sie sich», sagte Professor Sarkis schroff. Dies sollte offensichtlich keine freundliche Plauderei werden.
Lina setzte sich. Sie sah Professor Sarkis an, um irgendeinen Hinweis zu entdecken, warum er sie zu sich bestellt hatte, aber sie sah nur den stumpfen Glanz seiner dunklen Brille.
«Wir werden hier bei Coyote Investment ein neues Management-Team bekommen», begann er. Der Geschäftsjargon hörte sich absurd an, wie ein Vortrag der Harvard Business School in einer Folterkammer, aber er fuhr fort. «Gewisse Familienmitglieder der Herrscherfamilie haben mich gebeten, eine Umstrukturierung vorzunehmen. Diese beiden Herren hier sind meine» – er suchte nach einem Wort – «Berater. Sie haben mich gefragt, wer außer mir und Mr. Hammud mit der Firma vertraut ist. Ich hab ihnen gesagt, dass eine dieser Personen Sie sind, Miss Alwan.» Er hielt inne und nahm die dunkle Brille ab. Sein rechtes Auge war komplett zugeschwollen. Die Haut drum herum war eiterfarben, mit Schattierungen von Gelb und Blau.
«Ich habe mir überlegt, Sie an unserem neuen Management zu beteiligen. Aber es gibt ein Problem. Diese Herren sind der Meinung, dass es nicht sehr geschickt ist, jemandem mehr Verantwortung in der Firma zu übertragen ohne zusätzliche Fortbildung. Man könnte es auch Umerziehung nennen.»
«Wo, Professor Sarkis?»
«Bagdad.» Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte er, und Lina sah, dass ihm mehrere Zähne fehlten. Sie spürte, wie sich ihr die Angst mit eisernem Griff um den Magen krallte. Sie sah die beiden jungen Irakis
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