Blutgeld
euch nicht bei mir. In diesen Tagen der Trauer und Verwirrung musste jeder von uns leiden.» Er streckte ihnen die Arme entgegen, wie der Papst es tut, wenn er die Gläubigen segnet. Alles starrte nur auf den Stumpf seines Zeigefingers.
«Gehen wir also wieder an die Arbeit, meine lieben Freunde. Lasst uns hart arbeiten, um das Vermögen von Coyote Investment zu schützen, ein Vermögen, das wir geschaffen haben und das uns gehört; wir schützen es vor jedem, der versucht, es zu stehlen. Und für jeden, der vorhat, sich mit den Hunden und Verrätern einzulassen, die vorgeben, für die Familie unseres geliebten Herrschers zu sprechen, habe ich eine Warnung: Der Zorn des Herrschers wird euch wie ein sanfter Klaps erscheinen, verglichen mit dem, was ich tun werde.»
Als Hammud fertig war, versammelten sich einige der schamlosesten Opportunisten um seinen Schreibtisch, um ihm die Hand zu küssen und ihm ewige Loyalität zu versichern. Darunter waren, wie Lina bemerkte, mehrere, die am Tag zuvor am lautesten Professor Sarkis bejubelt hatten. Während sie zusah, wie sich die Schakale um Hammud versammelten, stellte Lina fest, dass Professor Sarkis ihr fast leidtat. Er war eine Marionette gewesen. Die Fäden waren gekappt worden und er ins Unsichtbare verschwunden.
In dem Pulk, der auf die Tür zusteuerte, entdeckte sie Randa und ging mit ihr zusammen zur Buchhaltungsabteilung zurück. «Was ist mit Yussef passiert?», fragte Lina. «Ich hab ihn bei der Versammlung gar nicht gesehen.»
Randa fuhr sich langsam mit einem Finger über die Kehle.
«Khatiya athwal.»
Es war ein irakischer Ausdruck, der «armer Dummkopf» bedeutete.
«Haram»
, sagte Lina.
Pech.
Als sie sich Linas neuem Büro näherten, nahm Randa sie beiseite. Sie hatte frischen roten Nagellack aufgelegt und trug einen noch kürzeren Rock als sonst.
«Hammud will dich wieder auf der inoffiziellen Seite haben», raunte sie. «Ab morgen.»
«Woher weißt du das?»
«Weil dieser süße Sicherheitsbeamte Hassan es mir vor ein paar Minuten erzählt hat. Er hat mich gebeten, es dir zu sagen. Er hat gesagt, Mr. Hammud will sichergehen, dass du wieder zur Familie gehörst.»
«Hat er dich auch aufgefordert, mich zu bespitzeln?»
«Hm», sagte Randa und nickte mit dem Kopf. «Allerdings.»
«Und du hast ja gesagt?»
«Na klar! Das haben wir doch schon erledigt. Mach’s mir nicht so schwer. Komm bald wieder. Ciao!» Sie küsste die Luft neben Linas Wange und trippelte davon, den Flur hinunter.
21
Hoffman aß an jenem Tag in seinem chinesischen Lieblingsrestaurant mit den wohltuend verdrießlichen Kellnern zu Mittag. Während er dasaß, fragte er sich, wer jetzt eigentlich der Eigentümer von Coyote Investment war, jetzt, da der Herrscher nicht mehr lebte. Er wusste keine Antwort. Nachdem der Herrscher umgebracht worden war, hatte Hoffman das Thema Nassir Hammud zu den Akten gelegt, aber die Frage ließ ihn nicht los, selbst als er mit seiner Wonton-Suppe, dem scharfen Bohnenquark und seinen Lomein fertig war. Nach dem Mittagessen streifte er durch Soho, vorbei an den Punk-Rock-Pubs, den trübe beleuchteten Striplokalen und schmuddeligen Buchläden. Normalerweise empfand er dieses Viertel als eine urbane Idylle. Aber an diesem Nachmittag kamen ihm die Kundenfänger der Sexshows und die Säufer, die sich in den Seitengassen übergaben, nicht ganz so anheimelnd vor, und da war immer noch diese Frage, die ihn beschäftigte. Hoffman machte sich Sorgen: Er fand, er wurde alt. Gerade als er beschloss, es sei Zeit, nach Hause zu gehen, sah er einen kleinen dicken Mann aus einem Pub stolpern, und für einen Augenblick war er fest davon überzeugt, dass es sein Vater sei.
Als er wieder in seinem Büro war, rief Hoffman Barakat an, den einzigen Menschen – außer Prinz Jalal –, den er kannte, der noch am ehesten etwas wissen konnte. Barakats Sekretärin sagte, er sei beschäftigt, und wollte den Anruf nicht durchstellen, und so beschloss Hoffman, einfach unangemeldet hinzugehen. Der Nachmittag war trüb und regnerisch geworden, aber Hoffman ging trotzdem die paar Straßen zur Bank Arabia zu Fuß.
Barakat war tatsächlich beschäftigt, in einer Besprechung mit einer Besuchergruppe aus Amman, sodass Hoffman im Vorzimmer Platz nehmen musste. Er blätterte im Immobilienkatalog von Sotheby’s, der auf dem Couchtisch lag, und fragte sich, wer bloß all die Häuser kaufen mochte, die für drei und vier Millionen Dollar angeboten wurden. Es konnten doch nicht alles
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