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Blutgeld

Blutgeld

Titel: Blutgeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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überwachen?»
    «Nein», sagte Lina. Von ihrer Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern übrig.
    «Du steckst wirklich tief in der Scheiße, Schätzchen», fuhr Hassan in seinem näselnden amerikanischen Akzent fort. «Weißt du das? Ich möchte nicht wissen, was die mit dir in Bagdad anstellen werden. Die werden rauskriegen müssen, wovor du am meisten Angst hast. Leidest du an Klaustrophobie? Ich habe gehört, die begraben Leute gerne lebendig. Du kriegst einen kleinen Strohhalm zum Atmen, und dann lassen sie dich da unten ein paar Tage lang liegen oder eine Woche lang oder vielleicht für immer. Oder Schlangen? Magst du die? Die werden in Bagdad viel Spaß mit dir haben.»
    Er lächelte dieses nichtssagende Santa-Barbara-Lächeln, als würde er in einem Werbespot im Fernsehen eine Saftpresse oder eine Küchenmaschine anpreisen.
    «Und deine votzige Freundin Randa ebenfalls. Was für eine Schlampe! Sie hat uns gesagt, sie würde dich im Auge behalten, und dann hat sie ein doppeltes Spiel mit uns getrieben. Mr. Hammud wird über sie nicht glücklich sein. Überhaupt nicht.»
    «Sie weiß nichts», sagte Lina. «Ich hab ihr nichts von dem Band gesagt.»
    «Jaja. Genau. Erzähl mir doch nichts.»
    Sie waren jetzt in Chelsea, fuhren an dem Industriegebiet mit den Gaswerken vorbei und hatten beinahe das Viertel erreicht, in dem Randas Wohnung lag. «Wo ist es, verdammt nochmal?», wollte Hassan ungeduldig wissen. «Na los!»
    «Die nächste links», sagte sie, die Richtung zur Wandsworth Bridge Road angebend. «Und dann rechts, auf die Beltran.»
    «Welches Haus ist es?»
    «Das da drüben.» Lina zeigte auf das dritte Haus auf der rechten Seite. «Zweiter Stock.»
    Der Wagen fuhr an den Bordstein. Hassan nahm das Klappmesser zwischen ihren Beinen weg. «Aussteigen», sagte er. «Und komm nicht auf den Gedanken, irgendwas zu versuchen, weil mein Freund Abu Raad hier eine Pistole hat, und er ist kein freundlicher Mensch.» Der andere Palästinenser zog eine Neun-Millimeter-Pistole aus seinem Schulterhalfter, sodass sie den silbrigen Glanz des Laufs sehen konnte. «Schön langsam jetzt», sagte Hassan. «Vorsichtig.»
    Lina stieg aus dem Wagen aus. Sie wusste immer noch nicht, was sie tun sollte. Die kurze Straße war völlig menschenleer. Hassan packte sie am Handgelenk und zog sie auf die andere Straßenseite. Er hatte das Messer auf ihr Kreuz gerichtet, knapp über dem Gesäß. Lina blickte prüfend die Beltran Road entlang, als sie die Straße überquerten, und betete darum, dass jemand kommen würde. Sie hatte es beinahe schon aufgegeben, als sie zwei Häuser weiter eine Gestalt in einem dunklen Mantel aus der Tür herauskommen sah. Er trug eine große Tasche um die Schulter. Ein Postbote. Hassan zog sie hinter sich auf den Bordstein hoch. Er sah zu Randas Wohnung hinauf und überlegte, wie er hineinkommen könnte. Er hatte den Mann in dem dunklen Mantel noch nicht bemerkt.
    Jetzt oder nie, dachte Lina. Entweder du unternimmst jetzt was, oder du wirst sterben.
    Sie brauchte ihre ganze Willenskraft für diesen Schrei, aber er brach plötzlich hervor wie der Laut einer Trillerpfeife – schrill vor Entsetzen, das ihr in Kehle, Lunge und Bauch saß. Hassan wirbelte zu dem Postboten herum, und in derselben Bewegung stieß er mit seinem Messer nach Lina. Sie aber fuhr herum und stürzte schreiend vom Bürgersteig auf die Straße.
    «Halt!», schrie der Postbote. Er schlingerte ihnen wie in einer Art Zeitlupe entgegen, ein großer, freundlich aussehender Mann Mitte vierzig. Hassan sah erst zu ihm hin, dann zu Lina, die wieder auf den Beinen war, immerzu schreiend, als wollte sie die Toten zum Leben erwecken. Der Palästinenser war einen Augenblick lang wie erstarrt, überlegte, wohin er sich wenden sollte. Aber sein Kollege, Abu Raad, handelte entschlossen. Er richtete seine Pistole auf den Postboten und drückte ab. Der Postbote ging zu Boden. Die Schüsse hallten durch die schmale Straße, und von mehreren Fenstern ertönten Schreie.
    «Scheiße!», brüllte Hassan.
    Lina rannte jetzt, so schnell sie konnte, zurück Richtung Wandsworth Bridge Road. Der Fahrer war aus dem Jaguar gestiegen und machte Anstalten, sie zu verfolgen, aber er war zu dick und zu schwerfällig; immer noch schreiend, rannte sie mit dem Adrenalinschub eines Menschen weiter, der sich noch wenige Augenblicke zuvor für so gut wie tot gehalten hatte. Es kamen jetzt, angelockt von dem Krach, Leute von der Hauptstraße her, und mehrere gingen auf

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