Blutgesicht
Vergiß nicht, daß wir uns heute abend ein Theaterstück anschauen wollen.«
»Ja, das weiß ich.«
Sarah ging zur Tür. »Ich warte dann auf dich.«
Jane lächelte ihr noch zu. »Okay, ich komme, geh schon mal vor. Bis gleich.«
Das Lächeln verschwand, als die Horror-Oma das Zimmer verlassen hatte. Jane hörte noch ihre Schritte auf der Holztreppe. Sie stand mitten im Raum und dachte nach. Ihr Gesicht sah dabei aus, als wäre es umwölkt. Die Lippen hielt sie fest zusammengepreßt.
Der Traum war schlimm gewesen, daran gab es für sie nichts zu rütteln. Und sie ging davon aus, daß er zugleich ein Hinweis auf die Zukunft war, die gar nicht gut aussah.
Der Abend war verplant. Eine Boulevard-Komödie in einem kleinen Theater in Soho. John Sinclair war da, die Conollys ebenfalls, auch Suko und Shao. Nach der Vorstellung würden sie noch etwas trinken gehen, denn am nächsten Tag war Samstag. Da konnte man sich ausschlafen.
Jane hatte sich auf diesen Abend wirklich gefreut. Nun war ihr die Laune verdorben worden. Sosehr sich Jane auch bemühte, den Anblick des verdammten Blutgesichts konnte sich nicht aus ihrer Vorstellung vertreiben…
***
Der Abend war schon lange geplant gewesen, und es klappte auch. Denn wann schafften sie es mal, alle zusammenzukommen? Terminlich war das immer schwierig. Meist konnten Suko und ich nicht, auch die Conollys waren oft unterwegs – Bill mehr als Sheila –, und Jane Collins ging auch ihrem Job nach.
Jedenfalls hatten wir es geschafft, und auch ich war darüber sehr froh, denn eine Ablenkung tat auch mir gut. Mal nichts mit Geistern und Dämonen zu tun zu haben, sich einfach in den Sessel zu setzen und andere das Programm machen zu lassen.
Dementsprechend gut war meine Stimmung. Ich hatte mir sogar eine Krawatte umgebunden, worüber Shao und Suko staunten, als ich nach nebenan ging, um sie abzuholen. Suko trug einen grauen Anzug und hatte sich für ein dunkelblaues Hemd entschieden, das bis zum Kragen zugeknöpft worden war.
»Bist du verkleidet, John?«
»Du nicht?«
»Etwas schon.«
Shao kam an. »Was habt ihr denn? Ihr seht beide endlich wie normale Menschen aus. Ich finde das chic. Ihr könnt sagen, was ihr wollt. Nicht wahr?«
Suko hob die Arme. »Ich wage keinen Widerspruch.«
»Mit dir kann man sich aber auch sehen lassen«, lobte ich Shao, der das weinrote Kostüm gut stand. Zudem trug Shao die Haare offen. Der Rock war kurz, die Jacke betonte die Linien des Körpers.
Da wir nach der Vorstellung noch ausgehen wollten, hatte ich schon von vornherein erklärt, nicht fahren zu wollen. Das übernahm Suko, und er würde dann auch einen Parkplatz finden müssen, was gar nicht so einfach war, denn an einem Freitagabend waren in London viele Menschen unterwegs.
Es kam, wie es hatte kommen müssen. Wir bekamen Probleme mit dem Parkplatz und hatten schließlich Glück, noch pünktlich ins Foyer zu kommen, wo die anderen bereits auf uns warteten und uns mit den entsprechenden Kommentaren begrüßten.
Zeit für Diskussionen hatten wir nicht, denn wir mußten unsere Plätze einnehmen, die gar nicht so schlecht waren. Wir fanden in der vierten Reihe unsere Stühle.
Das Stück selbst war eine Ehegeschichte mit vielen Verwechslungen. Spritzige Dialoge, Gags, Situations-Komik, und die Besucher waren sehr angetan.
Auch mir gefiel das Stück. Ich lachte sehr oft und wunderte mich dabei, daß die neben mir sitzende Jane Collins ziemlich ruhig war und kaum einen Kommentar abgab. Fast stoisch starrte sie auf die Bühne. Wie jemand, der die Aktionen dort gar nicht wahrnimmt und schlichtweg durch sie hindurchschaut.
Zunächst hielt ich es für eine momentane Laune. Ihr Verhalten änderte sich nicht, und schließlich war ich es leid. Ich stieß sie an und flüsterte ihr ins Ohr. »Was hast du denn? Was ist los mit dir, Jane? Du bist doch sonst anders.«
»Später, John.«
»Wann?«
»In der Pause.«
»Okay.«
Dieser kurze Dialog hatte dafür gesorgt, daß auch meine Konzentration nachließ. Jetzt kreisten meine Gedanken mehr um Jane Collins, obwohl ich zur Bühne hinschaute.
Meiner Ansicht nach hatte Jane Probleme. Und sie war keine Schauspielerin, die so etwas locker hätte überspielen können. Es mußte sie schon irgendwas quälen, was mir nicht paßte, denn ich hätte ihr gern geholfen.
So kurzweilig das Stück auch war, mir kam die Zeit bis zur Pause plötzlich lang vor, und ich atmete auf, als endlich der Vorhang fiel und sich die Seitentüren öffneten, um die
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