Blutgier - Ein Alex-Delaware-Roman 21
keinen Gedanken daran verschwenden, dass sich ein Killer in ihrer Nähe rumtreibt.« Er schob Rührei auf seinem Teller herum. »An der Natur hat mir nie was gelegen. Meinst du, ich sollte dem weiter nachgehen?«
»Malibu und die mögliche Verbindung zu einer Schauspielschule sprechen dafür.«
»Dr. Palmer sagte, er würde seine Frau fragen, ob sie bereit wäre, mit mir zu reden. Zwei Minuten später ruft Dr. Susan Palmers Sekretärin an und sagt, je eher, desto besser. Susan hat eine Zahnarztpraxis in Brentwood. Ich bin in vierzig Minuten mit ihr auf einen Kaffee verabredet. Aber erst mal beende ich mein Frühstück. Wird von mir erwartet, dass ich mein Geschirr selber abwasche?«
Dr. Susan Palmer war eine schlankere, weniger attraktive Version ihrer Schwester. Eine gedämpftere Schattierung Blond in ihren kurzen, stufig geschnittenen Haaren, tiefblaue Augen und eine Figur, die für ihr breites Gesicht zu schmal wirkte. Sie trug einen gerippten Rollkragenpullover aus weißer Seide, eine marineblaue Hose und blaue Wildlederslipper mit goldenen Schnallen. Sorgenfalten umrahmten ihre Augen und zogen an ihren Mundwinkeln.
Wir waren in einem Mocha Merchant am San Vicente mitten in Brentwood. Gepflegte Leute bestellten aromatisierte Michkaffees für sechs Dollar und Gebäck von der Größe eines Säuglingskopfes. Reproduktionen antiker Kaffeemühlen hingen an den mit Zedernholz paneelierten Wänden. Weicher Jazz wechselte sich mit peruanischer Flöte auf einer Tonbandschleife ab. Der verbrannte Geruch zu lange gerösteter Bohnen machte die Luft bitter.
Susan Palmer hatte einen »Sumatra-Vanille-Blendinesse-Eiskaffee mit halbem Koffeingehalt, halb Soja-, halb Vollmilch, auf jeden Fall Voll- und keine Magermilch« bestellt.
Mein Wunsch nach einem »Medium-Kaffee« hatte den Knaben hinter der Theke verwirrt.
Ich überflog die Tafel neben ihm. »Tagesmischung, extraheiß, medio.«
Milo sagte: »Das Gleiche.«
Der Knabe sah so aus, als hätte man ihn um etwas betrogen.
Wir trugen unsere Getränke zu dem Kiefernholztisch, den Susan Palmer an der Vorderseite des Cafés ausgesucht hatte.
»Vielen Dank, dass Sie sich mit uns treffen, Dr. Palmer«, sagte Milo.
Palmer schaute in ihren Eiskaffee und rührte. »Ich sollte mich bei Ihnen bedanken - endlich zeigt jemand Interesse.«
Ihr Lächeln war abrupt und obligatorisch. Ihre Hände sahen stark aus. Rosa geschrubbt, die Nägel kurz geschnitten und glatt. Die Hände einer Zahnärztin.
»Ich höre Ihnen gern zu, Ma’am.«
»Lieutenant, ich habe schließlich akzeptiert, dass Cathy und Andy tot sind. Das klingt vielleicht schrecklich, aber nach dieser ganzen Zeit gibt es keine andere logische Erklärung. Ich weiß von der Abmeldung der Kreditkarte und von Strom und Wasser in Toledo, aber Sie müssen mir glauben: Cathy und Andy sind nicht weggelaufen, um ein neues Leben anzufangen. Das würden sie auf keinen Fall tun, es entspricht einfach nicht ihrem Charakter.« Sie seufzte. »Cathy hätte nicht die leiseste Ahnung, wohin sie laufen sollte.«
»Warum sagen Sie das, Doktor?«
»Meine Schwester war eine Seele von einem Menschen. Aber nicht besonders raffiniert.«
»Flucht ist nicht immer ein Zeichen von Raffinesse, Dr. Palmer.«
»Der Gedanke an Flucht würde Cathy überfordern. Andy ebenfalls.« Sie rührte noch ein bisschen. Das beigefarbene Gebräu schäumte unangenehm. »Ich möchte Ihnen etwas von meiner Familie erzählen. Unsere Eltern sind emeritierte Professoren. Dad lehrte Anatomie am Medical College der Ohio University, und Mom lehrte Englisch an der University of Toledo. Mein Bruder Eric ist Dr. med. und Dr. phil. und betreibt biotechnische Forschungen an der Rockefeller U., und ich bin Kieferorthopädin.« Ein weiterer Seufzer. »Cathy hat mit Mühe die Highschool geschafft.«
»Keine Studentin«, sagte ich.
»Cathy war, wie ich inzwischen begreife, lernbehindert, und damit kamen die ganzen Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl, die man unter diesen Umständen erwartet. Damals dachten wir nur, sie wäre … nicht so schlau wie wir anderen. Wir haben sie nicht schlecht behandelt, ganz im Gegenteil, wir haben sie verhätschelt. Sie und ich, wir hatten ein tolles Verhältnis zueinander, wir haben uns nie gestritten. Sie ist zwei Jahre älter, aber ich kam mir immer wie die große Schwester vor. Jeder in der Familie war liebevoll und freundlich, aber da war dieses … Cathy muss es gefühlt haben. Viel zu viel Mitgefühl. Als sie ihre Absicht
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