Blutheide
das nie gesagt hab. Ich war ein idiotischer Kindskopf, heute weiß ich das. Ich hätte das schon längst tun sollen und nicht erst jetzt, wo ich zurück bin.«
Ben sah seinen Zwilling stumm an, dann räusperte er sich und erwiderte: »Klingt, als wärst du erwachsen geworden, zumindest, wenn ich das glauben kann. Ehrlich gesagt fällt mir das doch etwas schwer nach so langer Zeit und allem, was war. Ich hab damals lange auf ein Zeichen von dir gewartet und irgendwann hab ich mich damit abgefunden, dass es wohl nicht mehr kommt. Dachte ich zumindest.«
»Ich weiß, ich kann nicht erwarten, dass alles wieder so wird wie früher, bevor die ganze Scheiße angefangen hat. Ich kann nur hoffen, dass du mir verzeihen willst und ich dir beweisen kann, dass ich mich verändert hab. Ben, ich bin auch heute kein Chorknabe, aber seit damals gab es keine krummen Dinger mehr, und inzwischen hab ich mein Leben im Griff. Ansonsten wäre ich nicht zurückgekommen, das kannst du mir glauben. Echt.«
»Würd’ ich gern, kleiner Bruder, würde ich wirklich gern.«
Die Bezeichnung ›kleiner Bruder‹ war für Benedict das Zeichen, dass sein um drei Minuten älterer Bruder bereit war, ihm entgegenzukommen, denn damit hatte er ihn immer veralbert. Es war seine Art zu sagen, dass auch er sich eine Annäherung wünschte. Benedict fühlte, wie sich der Kloß in seinem Hals löste. Vielleicht würde ja wirklich alles wieder gut zwischen ihnen.
»Das kannst du auch. Ich hab dazugelernt, wenn auch spät. Du wirst meinetwegen keinen Ärger mehr haben, auch wenn ich jetzt wieder in Lüneburg bin.«
»Das heißt, du bleibst? Es ist also nicht nur ein Kurzjob, sondern was Festes?«
Ben merkte seinem Bruder an, dass er es ernst meinte. Er kannte seinen Bruder noch immer. Er würde merken, wenn Benedict ihm direkt ins Gesicht log. Zumindest wollte er das gern glauben. Trotzdem hatte er Bedenken, zumindest solange er nicht wenigstens etwas mehr wusste. Es würde keinen Sinn machen, die vergangenen acht Jahre zu hinterfragen und aufzuarbeiten, aber er wollte wissen, wo Benedict jetzt stand. Nur dann war er zu einem gemeinsamen Neuanfang bereit.
»Ja, ich bleibe, zumindest hoffe ich das. Man hat mir im Hotel Heideglanz den Job als Barchef angeboten, also zumindest fast. Wenn ich mich in der Probezeit bewähre, dann bekomme ich den Chefposten in einem halben Jahr, wenn der jetzige Barchef ins Ausland geht. Und ich will diesen Job, Ben, das ist für mich ein Sprung nach oben. Du weißt, dass mir die Gastronomie immer gefallen hat, und Barchef in einem solchen Hotel ist ein gutes Sprungbrett. Ich werd mir das nicht vermasseln.«
Ben musste beinahe schmunzeln. »So engagiert habe ich dich noch nie von irgendwas reden hören. Zumindest nicht, wenn es mit Arbeit zu tun hatte. Du scheinst dich tatsächlich mächtig geändert zu haben.«
Benedict nickte. »Ja, und ich werde dir zeigen, dass ich es ernst meine. Versprochen!«
»Okay, dann werde ich versuchen, einen Schlussstrich unter die alten Geschichten zu ziehen. Ob mir das von heute auf morgen gelingt, kann ich nicht beschwören, aber ich bin bereit für einen Neustart. Ich weiß auch nicht, ob ich das irgendwann bereuen werde, aber ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass mir mein Zwilling nicht gefehlt hat.«
15.02 Uhr
»Shit, verdammt! Es kann doch nicht so schwer sein, so ein bisschen Text zu entschlüsseln!« Die junge Kommissarin war kurz vorm Verzweifeln. Außer Kopfschmerzen hatten ihr die Stunden, die sie nun schon über dem vergrößerten Ausdruck des kleinen Stück Papiers, mit den zum Teil stark ausgewaschenen Worten drauf brütete, noch nichts gebracht. Dabei war sie nach der kurzen Döner-Pause mit Tobias, in der sie ihn auf den aktuellen Stand gebracht hatte, motiviert wieder gestartet und sich sicher gewesen, dass sie nicht mehr lang brauchen würde, um den Text zusammenzufügen. Doch mit einem einfachen Lückentext hatte das Ganze irgendwie wenig zu tun. Ein Einkaufszettel war es jedenfalls nicht, die ersten Worte, die sie hatte entziffern können, hatten nichts mit irgendwelchen Konsumgütern zu tun. Umso mehr wurmte es sie allmählich, dass sie nicht weiterkam.
»Wer also … nee, wer alles … sän … sähen … süh … will … scheidet … hm … scheitert.«
Katharina hatte gar nicht bemerkt, dass sie die wenigen komplett erkennbaren Bruchstücke laut vor sich hingemurmelt hatte, bis Tobias zu ihr an den Schreibtisch trat.
»Wer alles sühnen will
der
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