Blutheide
Dann entleerte er den gesamten Inhalt der Spritze auf Laras rasierter Scham. Ihn ekelte es beim Anblick der milchig weißen, sämigen Befruchtungsflüssigkeit, die so lebendig war, wie die daliegende Frau tot. Sachte suchte sie sich ihren Weg zwischen den eben noch zappelnden Beinen hindurch. Beine wie die einer ständig läufigen Hündin, denn genau so hatte sich sein Opfer zu Lebzeiten benommen. Er musste würgen, doch das hielt ihn nicht auf. Aus seiner linken Hosentasche nahm er den Notizblock. Er riss die von Lara beschriebene Seite ab, faltete den Zettel zusammen und klemmte ihn mit vorsichtigen, behandschuhten Fingern unter ihren Rockbund. Gleich darauf stand er auf, raffte, bis auf den Seidenschal, seine wenigen Utensilien zusammen, bedachte die Tote mit einem verächtlichen Blick und zog eine kleine Kamera aus seiner rechten Hosentasche. Als er sein Werk ausreichend fotografiert hatte, machte er sich schnellen Schrittes auf den Rückweg zu seinem Auto.
Sowohl der Audi als auch der Rover standen nach wie vor auf dem Parkplatz. Von ihren Besitzern war noch nichts zu sehen. Kein weiteres Auto war dazu gekommen. So was nannte er Glück, denn alles konnte selbst er nicht beeinflussen oder vorbereiten. Ähnlich wie die Sache mit dem Handy und dem Anruf. Das war ihm immer bewusst. Umso minutiöser plante er das, was nicht vom Zufall abhing. Er öffnete seinen Kofferraum, verstaute die Tasche auf einem dort bereitgelegten Lammfell, holte einen Akkuschrauber und seine Nummernschilder hervor und machte sich beflügelt an die letzte Arbeit zu diesem Fall: Geübt löste er die bisherigen Nummernschilder von seinem Auto und schraubte stattdessen die richtigen an. Danach stieg er in den Wagen ein, summte die Anfangsklänge von Beethovens Neunter, ließ diese dann übergehen in ›We are the champions‹ und fuhr die wenigen Kilometer zurück in Richtung Lüneburg.
Kurz bevor er den Ortseingang erreichte, bog er in einen Feldweg ab und fuhr ihn entlang, bis er, wie er wusste, von der Straße aus nicht mehr zu sehen war. Nachdem er ausgestiegen war, holte er aus seinem Kofferraum einen alten Kartoffelsack, sammelte alle Lammfellbezüge zusammen und stopfte sie hinein. Dann begann er, sein bis auf den letzten Knopf geschlossenes Hemd sowie seine Jeans aufzuknöpfen. Als er sich aus beidem heraus gepellt hatte, kamen die Klamotten mitsamt den Wanderschuhen und Socken ebenfalls in den Sack. Nun stand er zwar barfüßig, aber durchaus angezogen auf dem Feldweg, da er unter Jeans und Hemd sein kurzes Radlertrikot trug. Zuletzt wanderten die Leinentasche mit dem Werkzeug und die Handschuhe in den Kartoffelsack, über den er nun noch einen blauen Müllbeutel zog. Anschließend verstaute er alles wieder im Kofferraum, zog die dort bereitliegenden Sandalen an und fuhr endgültig zurück nach Lüneburg. Das würde gleich ein schönes Feuerchen geben. Er hatte sich dafür eine kleine Lichtung an der Ilmenau, dem Fluss, der Lüneburg durchzog, ausgesucht. Auf der Lichtung verbrannten die Leute im Herbst ihr Laub, und die Jugend traf sich hier an Sommernachmittagen zum Grillen und Chillen. Doch jetzt war es noch früh. Um diese Zeit würde sich niemand hierher verirren, auch das wusste er aufgrund seiner Beobachtungen.
Zur Arbeit würde er heute nicht mehr gehen, er hatte für diesen Tag bereits genug getan. Oder, naja, vielleicht würde er doch gehen. Es könnte interessant werden, das spürte er … irgendwie.
11.03 Uhr
Benedict schlug die Augen auf, und das Sonnenlicht, das durch das vorhanglose Fenster fiel, blendete ihn. Er würde sich dringend Jalousien zulegen müssen.
Sein Kopf dröhnte und erinnerte ihn daran, dass er auch am vergangenen Abend wieder länger im Krass rumgehangen hatte, als gut für ihn war. Bene, Bene, dachte er, du wirst alt. Früher hast du so was lockerer weggesteckt. In Wirklichkeit wusste er aber genau, was er da nicht so gut weggesteckt hatte. Das Zusammentreffen mit Benjamin ging ihm immer wieder durch den Kopf. Sein Bruder hatte eiskalt reagiert. Da war kein Fünkchen Freude in seinem Gesicht zu lesen gewesen, obwohl er nicht mit der Begegnung hatte rechnen können. Benedict wusste selbst nicht, wie er sich die Situation vorgestellt hatte, aber vermutlich hatte er gehofft, sein Bruder würde ihm ungeachtet der Vergangenheit einfach vor Freude um den Hals fallen, und alles wäre vergessen. Aber das hätte er eigentlich besser wissen müssen. Er hatte Benjamin verletzt – wie sehr, das wurde ihm
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