Blutheide
jetzt erst so richtig klar. Immer und immer wieder hatte Benjamin ihn aus dem Dreck ziehen müssen, und beim letzten Mal war Bene deutlich zu weit gegangen. Sein Bruder hatte für ihn die eigene Polizeikarriere aufs Spiel gesetzt, und er, Bene, hatte ihm nicht einmal dafür gedankt. Im Gegenteil: Sang- und klanglos hatte er sich aus dem Staub gemacht. Benedict schämte sich heute noch dafür, und gerade das machte es ihm so schwer, sich bei seinem Bruder zu entschuldigen. Aber da würde er jetzt nicht mehr drum herum kommen. Er wollte hier in Lüneburg neu anfangen und er hatte nicht vor, seinen Bruder erneut zu enttäuschen. Nicht, dass er jetzt unbedingt ein Spießerleben für sich geplant hatte, Gott bewahre. Aber er würde keine krummen Dinger mehr drehen. Diese Zeiten waren endgültig vorbei. Die Frage war nur, ob Benjamin ihm das glauben würde. Der neue Job im Heideglanz war auf jeden Fall ein Anfang. Und sobald sich die Gelegenheit ergab, würde er seinen Bruder um eine Aussprache bitten.
Mit Schwung schlug Bene die Bettdecke zurück und sprang aus dem Bett. Zwar dröhnte ihm dabei mächtig der Kopf, aber er befahl sich selbst, das zu ignorieren. Dann streckte er sich einmal kräftig, gähnte herzhaft und war gerade auf dem Weg ins Bad, als sein Handy klingelte. Ohne auf das Display zu gucken, nahm er ab und erkannte die Stimme am anderen Ende sofort – sie war seiner eigenen zum Verwechseln ähnlich: »Ich bin’s, ich denke wir sollten reden!«
12.47 Uhr
»Hey, schätze mal, du bist die Neue?!«
Katharina schreckte hoch. Sie hatte nicht gehört, dass jemand das Büro betreten hatte. Vor ihr stand ein etwas dicklicher Typ, sie schätzte ihn auf Mitte 30, mit schlabbrigen Jeans und einem St.-Pauli-Shirt unter der Sweatshirtjacke. Auffordernd streckte er ihr die Hand entgegen.
»Ich bin Tobi, Tobias Schneider, hast ja bestimmt schon von mir gehört!«
»Um ganz ehrlich zu sein – nein.« Katharina wusste nicht recht, wen sie da vor sich hatte und antwortete ziemlich kühl: »Ich bin Katharina von Hagemann, und ja … ich habe gestern hier angefangen.«
»Das ist ja wieder typisch, da ist man mal ein paar Tage nicht hier und schon ist man vergessen. Mann, Mann, trauriger Laden hier. Also, dann hol ich das mal nach: Ich bin dein Kollege, genauer gesagt dein Teampartner, Kommissar Tobias Schneider, geboren in Oldenburg, seit vier Jahren in Lüneburg und davon die meiste Zeit hier in dieser Bude. Hab dir also ein bisschen was voraus, was Stadt und Leute angeht, und werd versuchen, dir das Leben nicht allzu schwer zu machen. Das ist nicht mein Ding, ist viel zu anstrengend. Also, wenn du nicht einen auf Oberzicke machst, werden wir zwei schon klarkommen. Du bist also Katharina …«
Katharina konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Was für eine Laberbacke! Aber irgendwie nicht unsympathisch, sie hätte es deutlich schlimmer treffen können. Wenigstens war Tobi ein Mann und keine Teamkollegin. Das hätte sie vermutlich zu sehr an Helen erinnert, ihre Kollegin aus München, die zugleich ihre beste Freundin gewesen war. Ach, Helen … Katharina schüttelte ihren Kopf, um die aufsteigenden Erinnerungen daraus zu vertreiben. Für Tobi sah es jedoch so aus, als ob die neue Kollegin sich darüber ärgerte, dass ihr bisher niemand von ihm erzählt hatte.
Katharina seufzte einmal auf, dann erklärte sie: »Sorry, aber mir hat bisher wirklich keiner was von dir gesagt. Wir hatten seit gestern Morgen hier aber auch nicht gerade viel Zeit zum Plaudern, wenn ich ehrlich bin. Da ist das sicher einfach untergegangen.«
Tobias Schneider rollte übertrieben mit den Augen. »Schon klar, du musst die Jungs nicht in Schutz nehmen, das ist wohl mein Schicksal, dass ich immer vergessen werde, ich kenn das schon.«
»Kaum zu glauben, bei deinem Redeschwall …« Katharina grinste den neuen Kollegen an.
»Touché, Madame«, Tobias deutete aus Spaß eine Verbeugung an. »Ich merk schon, das wird ein munterer Schlagabtausch mit uns beiden. Kein Problem, auch das kenn ich, Frauen stehen nun mal auf Typen wie mich!«
Katharina war nicht sicher, ob er das ernst gemeint hatte, oder ob das seine Form von Selbstironie war, denn wenn Tobias eines ganz sicher nicht war, dann ein klassischer Frauentyp!
»Wo sind denn Ben und Mausi überhaupt, Kollegin?«, fragte Tobi, bevor Katharina wieder zu Wort kam.
»Mausi?«
»Na, dein Oberboss, Stephan Mausner. Den wirst du ja wohl schon kennengelernt haben, das lässt der sich doch nicht
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