Bluthochzeit in Prag
knallen?
Die Sowjets schienen eine Lösung des Problems gefunden zu haben. Der Scheinwerfer hielt den tschechischen Hubschrauber fest, und aus dem Dunkel der Wälder blitzte es plötzlich rhythmisch auf. Die überschweren Maschinengewehre auf den kleinen gepanzerten Mannschaftswagen hämmerten. Sie schossen bewußt an der langsam fliegenden Riesenlibelle vorbei, die nun einen weiten Bogen zog und wieder zurückkam … aber sie schossen!
»Ich lande!« sagte Leutnant Slavik hart. »Es hat keinen Sinn … noch schießen sie vorbei, aber wie lange? Aus dem Lichtstrahl kommen wir nie wieder heraus.« Er blickte auf die Karte, entdeckte dort ein Stück Brachland zu beiden Seiten eines Baches und nickte. Dann zerriß er die Spezialkarte und verteilte die Schnipsel an die vier Männer. »Aufessen!« Das war ein Befehl.
Die vier Männer stopften die Papierfetzen in den Mund und würgten sie hinunter. Keiner wehrte sich dagegen. Diese Schnipsel rissen ein Loch in das geheimste Sicherheitssystem des Landes, wenn sie den Sowjets in die Hände fielen.
»Alles weg?« fragte Leutnant Slavik nüchtern.
»Alles, Leutnant.«
»Wir landen –«
Es dauerte genau sechs Minuten, bis der Hubschrauber neben dem Bach im hohen Gras aufsetzte. Vier Minuten später brachen drei Gruppen Rotarmisten aus dem Wald … ein Geländejeep jagte heran, in dem sich drei Offiziere festklammerten.
Major Peljanow war der erste, der den Hubschrauber erreichte. Als er aus dem Jeep sprang, standen Leutnant Slavik und seine vier Passagiere wie zur Parade nebeneinander aufgereiht vor dem Flugzeug. Leutnant Slavik grüßte.
»Biene VII vom Kommando Pilsen zum Landen gezwungen!« meldete er.
Major Peljanow zog das Kinn an. Der Leutnant hatte russisch gesprochen.
»Was machen Sie nachts in der Luft?« schrie er zurück. »Es ist Flugverbot für alle tschechischen Maschinen. Was machen die Zivilisten da?«
»Darüber kann ich nur meinem Kommandeur Auskunft geben, Genosse Major.«
»Der Kommandeur hier bin ich!« brüllte Peljanow. Er kam sich dumm vor, wie vor allen Leuten in den Hintern getreten. Seine Soldaten umringten den Hubschrauber, am Himmel geisterte noch immer der Scheinwerfer herum. Warum stellen sie ihn nicht aus, die Idioten, dachte er. Wie die Kinder spielen sie damit. Er machte eine weite Handbewegung, die das ganze Land umschloß, und schrie wieder: »Über dieses Gebiet hier bin ich jetzt der Kommandant! Sie haben mir Ihren Auftrag zu melden, Leutnant!«
Er sah den jungen tschechischen Offizier mit geneigtem Kopf an und versuchte es noch einmal gütig. »Sie wollen mir also nichts sagen, Genosse?«
»Nein!«
»Ich weiß, warum: Sie wollten nach Westdeutschland fliehen. 12 Werst nur entfernt ist die Grenze. Sie wollten zu den Imperialisten und Revanchisten überlaufen!«
»Ich habe selten etwas Dümmeres gehört!« antwortete Slavik laut. Peljanow zuckte zusammen wie unter einem Schlag, wandte sich dann ab und lief zum Jeep zurück.
»Abführen!« schrie er dabei. »Alle!«
So kamen Leutnant Slavik, der Chirurg aus Strakonice, der Sektionsleiter der ›Civilni obrana‹ und die beiden starken Burschen aus Horni Vltavice in das Lager der Sowjets. Sie staunten ehrlich, denn alles, was hier aufgebaut wurde, sah nicht nach einem Provisorium aus. Alles machte den Eindruck, als wollte die Truppe überwintern. Das war eine Erkenntnis, die den Sektionsleiter mit den Zähnen knirschen ließ.
Peljanow ließ sie alle in einen Lastwagen steigen, setzte sechs schwerbewaffnete Gardisten an die Tür, gedrungene Burschen aus dem Amur-Gebiet, und sagte dann zum Abschied:
»Und Sie wollten doch nach Westdeutschland! Mich täuscht man nicht! Ich habe bereits in Pilsen angerufen. Man wartet auf die Verräter.«
*
Die gut ausgerüstete, durch Zivilkleider getarnte, im Schatten der großen Politik arbeitende und gefährlich mitleidlose Truppe des Obersten Tschernowskij war in diesen Tagen mit Arbeit überlastet.
Nachdem sich der erste, körperliche Widerstand gelegt hatte und die sowjetischen Panzer, Lastwagen, Kettenfahrzeuge und die Rotgardisten in ihren erdbraunen Uniformen zum Alltagsbild zählten, zu keinem schönen, sondern zu einem unabwendbaren Übel, krochen nun auch diejenigen Tschechen wieder an die Luft, die mit den Russen sympathisierten. In jedem Volk gibt es so etwas, wie es Ratten auf jedem Schiff gibt, auch wenn man es noch so sauber hält. Selbst in Neubauten nisten sich Wanzen ein, – es ist immer jemand da, der sie
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