Bluthochzeit in Prag
zuckten von der OP-Schwester zu Prof. Radic, die Assistenten schnitten und klemmten ab, eine verwirrende Apparatur von Narkose- und Beatmungsgeräten kümmerte sich um den Kranken, er spürte keine Schmerzen, sein Herz und sein Kreislauf wurden überwacht, unter den Strahlen der großen Operationsscheinwerfer lag alles sichtbar in überklarer Schärfe, alles war steril, sauber, perfektioniert … und doch hatte man Prof. Radic bewundert, wie er die Galle heraustrennte, eine Anastomose schuf und damit das Leben der Kranken rettete … einer Frau von 35 Jahren mit drei kleinen Kindern.
Was würde wohl Prof. Radic jetzt getan haben? Hier, in der feuchten Höhle, beim Schein von zwei armseligen Batterielampen, mit einem einfachen Messer, dessen Holzstiel vom Auskochen zerplatzt war, mit einer kleinen Elektrozange, einer Pinzette und einer Hohlnadel, ohne Sauger, ohne Adernklemme, nur mit ein paar Lagen Mull und einigen Zellstofftüchern?
Und plötzlich wußte Pilny, was er zu tun hatte. Es war eines jener unbegreiflichen Wunder, die zu schaffen ein Mensch in höchster Not imstande ist.
Er legte um die aufgeschnittene Wunde Zellstofflappen, tupfte weiter in die Tiefe, ließ die Mullkompressen dort liegen und fuhr mit dem Zeigefinger und dem Mittelfinger der linken Hand in die Wunde, spreizte die Finger und ließ zwischen ihnen die Zange hinabgleiten.
Ganz tief atmete er ein, als er den Widerstand merkte, auf den die Zange traf … dann drückte er die Zangenbacken auseinander und ging noch tiefer, umfaßte mit ihnen die Kugel und drückte zu.
Micha Lucek schlug noch einmal mit beiden Fäusten auf den Felsboden, dann lag er still.
»Gott sei Dank!« stammelte Pilny. »Gott sei Dank. Wenn du wieder aufwachst, Micha, ist alles vorbei. Wenn du aufwachst –«
Er versuchte, die mit der Zange gefaßte Kugel herauszuziehen, aber die Backen glitten wieder ab. Noch dreimal griff er zu … beim viertenmal hatte er sie richtig gefaßt und holte sie langsam aus dem Brei von Blut, Eiter und zerfetztem Fleisch. Er hätte schreien können vor Glück. Da war das Projektil einer sowjetischen Maschinenpistole – ein Stahlpfropfen, lächerlich klein, wenn man ihn auf dem weißen Zellstoff sah, und doch entscheidend für ein Menschenleben.
Lucek lag vor ihm wie geschlachtet, Arme und Beine von sich gespreizt, die Brust blutverschmiert. Er atmete kaum noch … unter den halboffenen Lidern waren die Augäpfel nach oben gedreht.
Karel tauchte die Hände in das noch immer heiße Wasser. Dann begann er mit der Wundversorgung.
Penicillinpuder. Ein Mullstreifen als Drain, um den Abfluß des Eiters zu ermöglichen. Das war verhältnismäßig einfach. Wie aber die weit klaffende Wunde ohne Nahtmittel oder Klammern schließen?
Er überlegte, und sah sich um. Sein Blick fiel auf eine blaue Packung mit Watte.
War das die Lösung?
Er legte einen dicken Packen Verbandmull auf die Wunde und darüber ein Stück der blauen Pappe. Während er das Ganze mit Leukoplaststreifen verklebte, preßte er die Wundränder zusammen, soweit er konnte.
Er hatte keine Ahnung von einem fachgerechten ›Druckverband‹ – aber instinktiv tat er das Richtige, um das Aufklaffen der Wunde zu verhindern.
Dann versuchte er, den Bewußtlosen aufzusetzen, um die Binden um seine Brust zu wickeln.
Das war eigentlich der schwerste Teil der Operation. Er mußte den Oberkörper Luceks gegen sich stützen, damit er nicht wieder zurückfiel, und dann die Binden um die Brust wickeln. Immer wieder rutschte ihm Micha weg … da schob er ihn an die kalte, feuchte Felswand, lehnte ihn dagegen und befestigte den Verband. Dann trug er Lucek zurück auf die blutverschmierte Wolldecke, wickelte ihn darin ein und legte noch ein paar Tücher über ihn, mit denen früher die empfindlichen Sendeapparate abgedeckt waren.
Lucek zitterte und klapperte in der Bewußtlosigkeit mit den Zähnen. Seine Nerven bäumten sich auf … er fror, wie auf Eis gelegt. Das dauerte eine ganze Zeit, und Pilny saß daneben und wartete, daß es nun zu Ende gehe. Er hatte die Hand auf Luceks Stirn gelegt, er dachte an gar nichts, er war leer, einfach ausgelaufen … er saß da und wartete, schloß vor Erschöpfung die Augen und hatte das Gefühl, ebenfalls dieser Welt wegzugleiten.
Doch das Zittern Luceks ließ nach; er lag still, und sein Atem wurde deutlicher und lauter. Da kroch Pilny aus der Höhle, setzte sich draußen auf die Steine, rauchte mit tiefen Zügen eine Zigarette und trank den Rest
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