Bluthochzeit in Prag
es zu spät. Die Kolonne saß fest, hatte sich auf dem engen Felspfad ineinandergerammt, und es dauerte über einen Tag, bis die ganze Verpflegungskolonne rückwärts aus den Bergen zurückgekrochen kam und dann hilflos auf der Straße lag.
Über kleine, fahrbare Geheimsender, die oft nur einen beschränkten Wirkungskreis hatten, wurden die neuesten Instruktionen ausgegeben.
Tschernowskij nahm diesen Kampf auf.
»Sie sind wie Mücken«, sagte er zu Valentina Kysaskaja. »Aber das beste Mittel gegen Mücken ist Rauch. Und ich werde auch diese tschechischen Mücken ausräuchern.«
Aus Rußland wurde ein ganzer Zug mit Störsendern geliefert. Als die Wagen auf die Normalspur umgebaut waren, klingelten die Geheimsender.
»Eisenbahner! Brüder! Dieser sowjetische Zug muß behindert werden! Jede Stunde, die ihr ihn festhaltet, ist eine Stunde für die tschechoslowakische Freiheit!«
Die Eisenbahner handelten stumm. In Uzgorod, wo der Zug über die Grenze kam, begannen bereits die Schwierigkeiten. Innerhalb von 12 Stunden legte Tschernowskijs Störzug nur ganze 40 km zurück … aus ›versehen‹ fuhr der Zug auf ein Abstellgleis, der Lokführer war plötzlich verschwunden und kein anderer so schnell aufzutreiben und schließlich endete die Fahrt vor einem Prellbock. Die Weichen waren auf rätselhafte Weise falsch gestellt.
Tschernowskij tobte. Er hatte jetzt allein in Prag über 200 Geheimdienst-Offiziere eingesetzt, um nach Politikern des Reformkurses, nach Journalisten und Redakteuren, Studenten und Widerständlern zu suchen. Noch immer funkten hier und dort Geheimsender, wurden entdeckt, zerstört, die mutigen Männer verhaftet … aber ein paar Stunden später funkte jemand wieder aus einer anderen Ecke des Landes.
Am 24. August sendete Radio Freies Prag einen Aufruf an alle Landsleute, an die 14 Millionen Schweijks, die plötzlich den Russen gegenüberstanden:
»Freunde und Brüder!
Die Olympischen Spiele nahen, aber wir haben geeignete Trainingspartner im Lande, um unsere Kräfte zu messen. Neue Sportarten gilt es zu trainieren, in denen die CSSR berechtigte Medaillen-Chancen hat. Wir bitten euch, übt alle gemeinsam:
1. Wer kann die meisten Klimmzüge an russischen Kanonenrohren machen? Eine Sportart zur Kräftigung der Armmuskeln und des Muts.
2. Die Sportart ›Abschrauben von Straßenschildern‹. In dieser Disziplin wurde ein nationaler Wettbewerb ausgeschrieben, dessen Ziel es ist, unseren kommunistischen Brüdern den rechten Weg zu weisen. Nehmt alle eure Schilder und schraubt sie wieder an, dort, wo ihr gerade steht, möglichst weit fort vom ersten Ort. Eine Sportart, die verblüffende Orientierungsleistung zur Folge hat.
3. Freunde und Brüder! Der tschechoslowakische Nationalsport des Diskutierens bedarf besonderer Pflege. Übt mit euren uniformierten Trainingspartnern und bedenkt: Schweijk ist unschlagbar!«
Oberst Tschernowskij befahl eine Sonderkonferenz in seine Dienststelle, als dieser Aufruf im ganzen Land verbreitet wurde. In Gegenwart von Valentina standen dichtgedrängt 300 Geheimagenten in dem ausgeräumten Hotelsaal. Valentina wußte, warum Tschernowskij sie dazugerufen hatte: Er demonstrierte ihr seine Macht. Er wollte ihr zeigen, wer Herr dieses Landes war. Der Herrscher im Dunkeln, in den grauen Wolken des Geheimdienstes.
»Und einen Menschen aus dieser revanchistischen Brut lieben Sie!« sagte er voll Verachtung nach der Sonderkonferenz zu Valentina. »Eine Mücke, eine Schmeißfliege! Schämen Sie sich nicht, Valentina Konstantinowna?«
»Nein«, antwortete sie stolz. »Ich bewundere diesen Mann, Andrej Mironowitsch.«
»Und das sagt eine Russin? Früher hätte man Sie ausgepeitscht.«
»Ihre Zuneigung zu mir kommt dem gleich –«
Tschernowskij wurde rot und blickte Valentina aus zusammengekniffenen Augen an. »Haben Sie eigentlich nie darüber nachgedacht, warum Sie noch in Prag sind?« fragte er.
»Oft, Genosse Oberst. Bei der Perfektion unserer Bestrafungen müßte ich mindestens im Lubjanka-Gefängnis sitzen. Statt dessen wohne ich mit Ihnen in einem Prager Hotel und genieße Vorrechte, die sonst nur einer Geliebten zukommen.« Sie hob ruckartig den Kopf, warf die langen, schwarzen Haare in den Nacken und sah Tschernowskij kampfeslustig an. »Ich wollte mit Ihnen schon lange darüber reden. Ich verabscheue diese Situation, Andrej Mironowitsch. Ich bin nicht Ihre Geliebte und werde es auch nie sein. Ich verlange eine Zelle wie jeder Verräter. Ich will in ein
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