Bluthochzeit in Prag
werde es tun.«
Bald war alles vorbereitet. Das Messer war ausgekocht und hatte dabei den Holzgriff verloren, aber wer brauchte ihn noch? Zange und Pinzette lagen daneben. Pilny tauchte die Hände in den Schnaps und ließ sie so lange drin, bis seine Haut brannte. Lucek war betrunken, aber noch klar genug, um Anweisungen zu geben.
»Du machst einen Kreuzschnitt«, lallte er. »Dann kannst du die Wunde aufklappen wie einen Pappkarton. Karel … öffne meinen Pappkarton …«
Pilny kniete neben Lucek, das Messer in der vom Schnaps krebsroten, brennenden Hand.
»Du bist besoffen«, sagte er tonlos. »Micha … du bist total besoffen …«
»Freu dich … los … schneid ein … Keine Angst … ich halte still … Hast du die Mulltupfer neben dir?«
»Alles, Micha.«
»Fang an –«
Lucek schloß die Augen. Die Hände schlossen sich zu Fäusten, der Mund verkrampfte sich, die Zähne preßten sich aufeinander.
Der erste Schnitt ist der schlimmste … der erste Schmerz … das Aufbäumen des Körpers gegen den Feind von draußen … Dann gewöhnt man sich daran – – – oder man schreit die Sterne vom Himmel …
»Karel … fang an …«
Pilny atmete tief ein. Dann hielt er den Atem an, setzte die Spitze des Messers auf Luceks Einschußwunde und schnitt von oben nach unten tief ein.
Das Blut lief über die nackte Brust Luceks und über die Finger Pilnys, und Micha stöhnte laut auf, ballte die Fäuste, knirschte schaurig mit den Zähnen, aber er schrie nicht und benahm sich fabelhaft.
Pilny starrte auf den Schnitt und hob den Kopf.
»Kannst du es aushalten?« stotterte er. »Ich – ich muß noch einmal … und tief genug ist es auch nicht …«
Lucek öffnete die Augen. Tränen rannen ihm über die Wangen, so grausam war der Schmerz.
»Weiter!« knirschte er. »Mensch, mach weiter …«
Pilny machte den zweiten Schnitt in entgegengesetzter Richtung. Kreuzschnitt, wie es Lucek genannt hatte. Da Micha sich die Decke unter den Rücken gerollt hatte und die Brust sich wölbte, klaffte plötzlich die Wunde weit auf. Blut, vermischt mit Eiter, floß heraus. Pilny schluckte.
»Was ist?« schrie Lucek. Die Frage war ein guter Anlaß, den Druck in sich loszuwerden. Pilny zuckte hoch, als ihn der Aufschrei traf.
»Was nun?«
»Taste nach der Kugel –« Luceks Fingernägel kratzten über den Felsboden. »Gib mir etwas Chloräthyl«, keuchte er. »Ein bißchen … auf einen Wattebausch. Es ist nicht auszuhalten … nicht auszuhalten!«
Pilny griff nach der Sprühflasche, spritzte das Betäubungsmittel auf einen Mulltupfer und hielt ihn Micha unter die Nase. Gierig atmete Lucek ein.
Dann nahm Pilny die lange Hohlnadel und stieß sie wieder in die blutende Wunde. Als sie auf das Metall traf, nickte er. »Da ist sie wieder …«
»Laß … laß die Nadel drin … mach die Wunde so breit, daß du arbeiten kannst … geh … geh mit der Zange hinein und versuche … sie … sie zu fassen … Mein Gott … Karel … ich dreh durch. Es ist doch zuviel –«
Pilny setzte Lucek die Flasche mit dem Schnaps an die Lippen und ließ ihn trinken. Soll er sich totsaufen, dachte er. Das ist ein besserer Tod, als hier zu krepieren. Er ist nicht mehr zu retten. Die Wunden sind brandig, die Vergiftung muß schon in seinem Blut sein. O mein Gott, wie lange kann das noch dauern? Warum stirbt man so langsam?
Lucek hob die Hand. Pilny nahm die Flasche weg –, sie war halb leer.
»Mach …«, lallte Lucek. Ein schreckliches Lächeln verzerrte sein Gesicht. Die blonden Haare klebten schweißnaß an seinem Kopf, in die Bartstoppeln rann ein Rest des Schnapses. »Mach, Junge …«
Karel konnte es nicht mehr mit anhören. Er ließ die Nadel einfach in der offenen Wunde stecken und griff nach dem Chloräthyl.
Das Stöhnen wurde schwächer und hörte schließlich auf.
Pilny beugte sich wieder über die Wunde. Er tupfte das Blut weg und erinnerte sich plötzlich an eine Reportage, die er mit einem Fernsehteam in der chirurgischen Klinik der Prager Universität gemacht hatte. Damals operierte Prof. Radic eine geplatzte Gallenblase, und Pilny sah noch einen Kameramann, der lautlos hinter seiner Kamera umkippte, als die Bauchhöhle freilag und mit einem Spreizer weit aufklaffte. Damals hatten sterile, blutsaugende Tücher das Operationsgebiet saubergehalten, Adernklemmen hielten die Blutgefäße dicht, ein Sauger holte den Blutsee aus der Bauchhöhle. Wie einfach war das damals alles, dachte er jetzt. Die blitzenden Instrumente
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