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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nur an den Händen gefesselt. Pilny hatte sie ihm auf den Rücken zusammengebunden … so war es schwer, wegzulaufen; in diesem zerklüfteten Gelände, in dem man seine Hände brauchte, war es völlig unmöglich.
    Muratow war still geworden. Sein fröhliches Jungengesicht war zerknittert und bleich. Er machte sich Sorgen um die Zukunft. Daß er bereit gewesen war, eines Mädchens wegen die Uniform auszuziehen und Rußland für immer den Rücken zu kehren, erschütterte ihn weniger als die Erkenntnis, daß er wiederum an einem Mädchen Schiffbruch erlitten hatte. Nur war in diesem Falle nicht das Mädchen schuld, sondern er selbst hatte sich in eine Illusion gesteigert, aus der er jetzt erwachte mit der Übelkeit eines Morphinisten.
    Man würde ihn, wenn man ihn übermorgen im Wald fand, degradieren, das war sicher. Peljanow würde ihn mit der Militärpolizei nach Kiew zurückschicken, dort würde es eine Gerichtsverhandlung geben. Wie das Urteil lauten würde, konnte sich Muratow ohne Schwierigkeiten vorstellen.
    »Es bleibt dabei, wie wir besprochen haben?« fragte er am Nachmittag Karel Pilny. »Sie lassen mich hier und benachrichtigen meine Truppe, wenn Sie drüben in Deutschland sind.«
    »Ja. Aber es kann auch zwei Tage dauern.«
    »Ich werde nicht verhungern.«
    »Aber verdursten.« Pilny sah hinüber zu Irena. Sie packte bereits die Rucksäcke für den Marsch in die Freiheit. »Ich werde Ihnen einen Eimer voll Wasser hinstellen, Leutnant Muratow. Wenn Sie Durst haben, können sie den ganzen Kopf hineintauchen und trinken.«
    »Wie ein Ochse.«
    »Es tut mir leid, Leutnant … aber Sie haben sich auch wie ein solcher benommen.«
    »Es stimmt.« Muratow lehnte den Kopf an die Felswand. »Ich sehe es ein. Aber verstehen Sie nicht, daß ich beim Anblick Irenas einfach den Kopf verlor?«
    »Das ist das einzige, was ich an Ihnen verstehe. Für Irena wären Sie bereit gewesen, Ihr Vaterland zu verlassen?«
    »Ja. Aber nicht allein ihretwegen. Mir sind Zweifel an unserem System gekommen. Was man uns sagt, ist ganz anders als die Wirklichkeit. Eingehämmert hat man es uns: Ihr seid die Freunde der ganzen Welt! Überall warten die geknechteten Brüder auf euch. Sie stöhnen unter dem Monopolkapitalismus, sie wollen ihre Fesseln sprengen, so wie wir es bei der Oktoberrevolution getan haben. Und ihr sollt ihnen dabei helfen … eure Brüder rufen euch!«
    »Dann kam ich in euer Land«, fuhr Muratow stockend fort, »und ich sagte es schon Irena … es war alles anders, als man uns erzählt hatte. Wir waren keine Freunde, keiner wartete auf uns, alle hatten eine andere Vorstellung vom Sozialismus als wir, keiner hungerte oder fühlte sich versklavt, nirgendwo wurde das Volk ausgebeutet.«
    Pilny blickte Leutnant Muratow lange an. Er tat ihm leid, und er verstand nun Irena, die allem widersprach, was Muratow schaden konnte. Zuerst hatte ihn das unangenehm berührt, ja, er war sogar eifersüchtig auf den jungen Russen geworden, und wenn er Irena von ihm reden hörte, fragte er sich: Habe ich Irena verloren? Entgleitet sie mir langsam? Was fesselt sie an diesem sowjetischen Kerl? – Wie dumm war das alles! Wie kleinlich gedacht. Das Problem Muratow, das erkannte Pilny jetzt, ging tiefer. Es war der Zusammenbruch eines jungen, an sein Land glaubenden Menschen in dem Augenblick, in dem er mit der Wahrheit konfrontiert wurde. Und Muratow war nicht der Typ, diese Frage einfach beiseite zu schieben und weiterzumachen. Er war ein Denker, ein Intellektueller in Uniform … das Schlimmste, was einer Armee widerfahren kann!
    »Und trotzdem wollen Sie wieder zurück nach Rußland?«
    »Ja.« Muratow nickte mehrmals. »Ich bin Russe und bleibe es. Wäre Irena frei gewesen und ich wäre mit ihr in den Westen gegangen, ich hätte mein Vaterland gegen Irena ausgetauscht. Ich wollte mit ihr eine eigene Welt aufbauen … das Glück, ein Russe zu sein, wäre aufgewogen worden gegen das Glück, von ihr geliebt zu werden. Verstehen Sie: Ich hätte einen Halt gehabt in einer Welt, die ich nur langsam werde verstehen können. Aber jetzt? Was soll ich allein im Westen. Wo ist dort Erde, in der ich Wurzel schlagen könnte? Nein, – ich werde zurückkehren nach Kiew oder nach Moskau oder nach Sibirien – wer weiß das schon? – und die viele überflüssige Zeit dazu benutzen, über mein zerriebenes Leben nachzudenken. Aber das wird in Rußland geschehen. Das allein ist wichtig! Verstehen Sie mich jetzt, Genosse?«
    »Ja.« Pilny erhob sich. Er

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