Bluthochzeit in Prag
Herzen weiter: Wo waren Pilny und seine Freunde wirklich? Wo versteckten sie sich wie die gehetzten Füchse?
Frau Plachová kämmte sich noch einmal die Haare, band ein dunkles Kopftuch um und ging in die nächste Kirche. Dort kniete sie vor dem Marienaltar, spendete eine große Kerze und betete um Hilfe für ihren Karel Pilny.
Er hatte sie nötig.
*
Mit den Abendnachrichten aus Prag, die mit dem Bajonett im Rücken gesprochen wurden, führte Tschernowskij eine Neuerung im Spiel der Geheimdienste ein. Er übernahm dafür die volle Verantwortung, obgleich er wußte, daß wenig später aus Moskau ein Anruf des gelben Zwerges Ignorow kommen mußte. Was Tschernowskij befahl, war in der Tat so ungeheuerlich, daß General Ignorow eine Sonderkonferenz einberief und zu seinen Mitarbeitern seufzend sagte: »Genossen, Andrej Mironowitsch ist verrückt geworden … anders ist es nicht erklärbar. Ich erwarte jeden Augenblick seinen Bericht … vielleicht müssen wir ihn abholen lassen und in eine Gummizelle sperren. Ein tragischer Fall, Genossen –«
Was war geschehen?
Nichts weiter, als daß der Nachrichtensprecher einen Text verlas, der ihm fünf Minuten vor der Sendung von einem russischen Offizier aus dem Hauptquartier von Tschernowskij übergeben worden war. Der Text lautete:
Im Rahmen der weiteren Ermittlungen gegen den Funkreporter Karel Pilny, der sich nach noch unbestätigten Meldungen in Wien aufhalten soll, ist bekannt geworden, daß auch der gesuchte Prager Studentenführer Michael Lucek und die Freundin Pilnys, die Deutsche Irena Dolgan, in seiner Begleitung sind. Bei Lucek befindet sich auch dessen Geliebte, die sowjetische Geheimagentin Valentina Kysaskaja, die unter dem Namen Miroslave Tichá in die Studentenkreise eingeschleust wurde, später aber überlief und nun als Konterrevolutionärin tätig ist. Valentina Kysaskaja hatte den Auftrag, die Studentengruppe in Prag zu kontrollieren und Grundlagen für eine Säuberung von aufrührerischen Elementen zu schaffen.
»Ein Irrer!« stöhnte General Ignorow, als er die russische Übersetzung auf dem Schreibtisch liegen hatte. »Er muß kein Gehirn mehr haben, dieser Andrej Mironowitsch … Er hat einen Agenten bloßgestellt. Er hat vor der ganzen Welt unsere Geheimdiensttätigkeit zugegeben!«
Aber Tschernowskij hatte Gehirn genug … es war sogar ein satanisches Gehirn, das in diesen Stunden mit der Präzision einer Höllenmaschine arbeitete.
Auch in Wien wird man diese Meldung hören, dachte er. Michael Lucek wird sie hören. Wie steht er nun da vor seinem entzauberten, nackten Vögelchen Miroslava? Was wird sie ihm erklären? Wie ein Blitz wird es sein, der zwischen ihnen einschlägt und die Erde so weit aufreißt, daß sie nie wieder zu flicken ist.
Zuerst fahre ich nach Wien, dachte er. Wozu habe ich einen ordentlichen Paß auf den englischen Namen Henry Brown, Stoffhändler aus London? Ignorow, der gelbe Zwerg, wird warten müssen. Wenn ich zurückkehre nach Moskau, werde ich Valentina bei mir haben … oder ein Foto ihrer Leiche neben Michael Lucek.
*
Man wartete auf die Nacht. Pilny hatte seine letzte Sendung gut vorbereitet. Den Berichten aus Prag stellte er die Reportagen westlicher Korrespondenten gegenüber. Es war ein Unterschied, der auch den geistig Ärmsten zum Nachdenken trieb. Dann schloß die Sendung mit den Worten:
… Das liebe Freunde, war unser letzter Bericht. Im Lande stehen die sowjetischen Divisionen, und sie werden dort bleiben, solange es Moskau gefällt. Wir sind wehrlos, aber wir beugen uns nicht; in unseren Herzen wird die Liebe zur Freiheit, zu einem Sozialismus neuer Prägung, immer glühend bleiben! Wir schweigen ab jetzt, weil es keinen Sinn mehr hat, eine Wahrheit zu sagen, die jeder kennt. Die Sowjets sind unter uns … solange sie es sind, wird das Wort Frieden beschmutzt und verhöhnt!
Freunde! Glaubt an die neue Zeit! Einmal wird unser Land so leben können wie es will. Ich grüße alle in meinem schönen, geliebten Vaterland …
Tschernowskij, dem man sofort die Übersetzung auf den Tisch legte, erstarrte. Dann holte er die Karte aus Wien aus den Akten und zerriß sie. Der Sender funkte aus der alten Ecke an der böhmischen Grenze … daß er in Österreich stand, war ganz ausgeschlossen, und in Wien schon gar nicht.
»Diese Frau Plachová!« sagte er bloß, und etwas wie Hochachtung schwang in seiner Stimme. »Sie hätte es bald geschafft, den ganzen KGB zu täuschen. So plump und doch so wirksam. Man
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