Bluthochzeit in Prag
›Pommes frites‹ genannt, beseitigte die letzten Spuren des Rastplatzes und lehnte sich dann an den Wagen.
19 Uhr. Schluß der Dienstzeit. Von jetzt an übernahmen die Kollegen von den Amis die Funküberwachung an der Grenze. Sie lagen in einem Waldstück und tasteten mit hochempfindlichen Richtmikrofonen und Radarstrahlen die Grenzwälder ab und sammelten auf ihren Tonbändern alle Geräusche, Gespräche und Laute, die auf tschechischer Seite in einem Umkreis von 10 Kilometern mit den unheimlichen, unsichtbaren Ohren aufzunehmen waren.
Von der Zentrale aus, wo Spezialisten die Tonbänder auswerteten, tickten dann die Fernschreiber an die militärischen Kommandostellen, flogen die verschlüsselten Funksprüche zum NATO-Hauptquartier in Brüssel und zum Verteidigungsministerium in Bonn.
Die Sowjets wechseln Truppen aus.
Es kommen Garderegimenter in die CSSR.
Die Bataillone an der Grenze richten sich auf lange Wartezeiten ein. Es werden feste Lager gebaut.
3.000 Panzer sind in den Wäldern entlang der deutschen Grenze aufgefahren. Die Militärmacht des Ostblocks ist um 15 Divisionen gewachsen, die jederzeit einmarschbereit sind.
Die Ausrüstung der sowjetischen Truppen ist kriegsmäßig.
Feldwebel Hacker, der zeitweise mit dem Kopfhörer sich in die Tonbandaufzeichnungen seines Richtmikrofones einschaltete, hörte – es war kurz vor dem Abbau der Antenne – deutlich einige Stimmen, die deutsch sprachen.
Mit dem Feingefühl, das man besitzen muß, um das unsichtbare Ohr genau dorthin zu dirigieren, wo etwas Wichtiges zu ertasten war, steuerte er die Stimmen an und hatte sie dann ziemlich klar auf dem Band.
»Hör dir das an, Pommes frites!« rief er zu dem Gefreiten Toffel, der in einer anderen Richtung die Grenze abtastete. »Das hört sich ganz so an, als ob dort welche über die Grenze zu uns wollen. Verdammt, eine Frau ist auch dabei.«
Hacker und Toffel saßen nebeneinander und hörten – fünf Kilometer entfernt – mit ernsten Mienen die Stimmen von Pilny, Irena und Muratow.
»Es sind drei«, sagte Hacker. »Zwei Männer und eine Frau. Sie wollen beim Rachel über die Grenze. Hier geht es nicht. Logisch, wenn sie gerade dort rüber wollen, wo ein sowjetisches Bataillon aufmarschiert. Mach mal ein Zeichen auf das Tonband, vielleicht kann man den Leuten irgendwie helfen …«
Und der Gefreite Toffel machte mit Kreide einen Strich auf die Tonbandspule und ging zurück zu seinem eigenen Richtmikrofon.
Drei Stunden später lagen die Tonbänder des Wagens VII in der Zentrale. Hacker und Toffel meldeten sich ab, aßen in der Kantine zu Abend und klemmten sich dann hinter das wohlverdiente Bier.
Das Tonband mit dem Kreidestrich vergaßen sie. Morgen war Sonntag, sie hatten Ausgang und wollten nach Waldkirchen fahren. Dort hatte jeder von ihnen ein Mädchen, und das ist für einen Soldaten neben dem Essen das wichtigste.
In der Zentrale aber durchlief das Tonband mit dem Kreidestrich einen peinlichen Instanzenweg. Die Stelle mit dem Gespräch Pilny – Muratow - Irena wurde auf ein anderes Band überspielt und dem Kommandeur nach dem Abendessen über einen Verstärker vorgeführt.
»Was soll das?« fragte Major Freiding etwas konsterniert, als das kurze, ferne Gespräch mit einem Knacken erlosch.
Der junge Leutnant blickte seinen Kommandeur etwas ratlos an.
»Da sind drei Landsleute, Herr Major, die morgen oder übermorgen über die Grenze nach Deutschland wollen. Irgendwo am Berg Rachel. Sie haben es ganz deutlich gehört.«
»Na und?«
»Es ist zu erwarten, daß sie beim illegalen Grenzübergang in Gefahr geraten …«
»Damit muß man rechnen, wenn man schwarz rüber will.«
»Es könnte zu einer Schießerei kommen, wenn die Russen sie entdecken.«
»Logisch.«
Leutnant Stalder spürte, wie es ihm heiß unter den Haaren wurde. Er erinnerte sich an seine Mutter, die 1945 von Ostpreußen aus mitten durch die Russen erst nach Berlin und dann weiter nach Schleswig gezogen war, und er dachte an die vielen Hände, die ihr geholfen hatten, diesen grausamen Treck zu überleben. Dann dachte er daran, daß der neue deutsche Soldat ein Bürger in Uniform sein soll, daß er mit der Uniform nicht das Denken verlieren muß und daß man vor gar nicht langer Zeit in Nürnberg Generäle aufgehängt hatte, weil sie nicht den Mut zum Widerspruch hatten.
»Dort sind drei Menschen, Herr Major«, sagte Leutnant Stalder und bekam einen roten Kopf vor seinem eigenen Mut, »die nach Deutschland wollen. Sie
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