Bluthochzeit in Prag
»Meine Braut ist Studentin.«
»Ach! Sie sind verlobt?« Ein Blick aus Valentinas schwarzen Augen traf Pilny wie ein Geschoß. Er spürte förmlich den Einschlag in seinen Körper.
»Ja.«
»Medizinerin?«
»Nein. Kunststudium. Soll ich Ihnen eine Tasse Kaffee machen lassen?«
»O danke.« Valentina sprang auf und strich das Kleid über ihren Schenkeln glatt. »Ich wollte Sie nicht aufhalten. Ich habe mich meines Auftrages entledigt, Sie von Jérôme Duval zu grüßen, auch wenn Sie sich nicht an ihn erinnern können. Wer konnte das wissen?« Sie zerdrückte die Zigarette und beugte sich wieder so tief, daß Pilny ihre Brüste in den Spitzenschalen sehen konnte. Dann wehten, durch eine geschickte Kopfbewegung, die langen schwarzen Haare darüber. Es war, als fiele ein Vorhang über eine lebende Plastik. »Vielleicht sehen wir uns durch einen Zufall wieder?«
»Vielleicht.« Pilny ergriff Valentinas Hand. »Ich danke Ihnen, daß Sie sich die Mühe machten, mich zu suchen.«
»Es war keine Mühe … und wenn, so hat sie sich gelohnt.« Sie blickte ihn wieder an, und er hatte das Gefühl, sie könne bis zu seiner Herzspitze vordringen. Als er sie hinausbegleitete, sah er Frau Plachová an der Küchentür stehen. Ihr Gesicht bewies ihm, daß sie alles mitgehört hatte.
»Auf Wiedersehen«, sagte er draußen im Treppenflur und winkte Valentina nach, die leichtfüßig die Stufen hinuntersprang.
»Das soll ein Wort sein!« Sie blieb stehen und winkte fröhlich zurück. »Sie können sich erkenntlich zeigen … Ich habe Ihnen Grüße aus Paris gebracht, stellen Sie mich nun Ihren Freunden vor. Ein Mädchen, einsam in Prag … haben Sie Mitleid mit mir, Karel Pilny!«
»Ich werde um 13 Uhr an der Universität sein!« Karel blickte ihr nach, wie sie die Haustür aufriß und beim Hinaustreten auf die Straße noch einmal zu ihm zurückwinkte.
»Hierher!« sagte eine harte Stimme hinter ihm. Pilny fuhr herum. Im Wohnungsflur stand Frau Plachová, die Hände in die Seite gestemmt. »Vergessen Sie schon jetzt, daß Sie verlobt sind?«
»Aber nein.« Karel lachte etwas gequält. »Irena ist viel schöner als sie. Ich habe an dieser Miroslava Tichá keinerlei Interesse.«
*
Um die Mittagszeit trafen sich Karel Pilny und Michael Lucek auf der Straßenseite gegenüber dem Sekretariat der Universität. Sie standen in einer Haustür, rauchten und warteten.
»Wenn sie so hübsch ist, wie du sie anpreist«, sagte Lucek und scharrte mit den Füßen, »muß sie ja ein Wunder der Natur sein.«
»Sie ist es.« Pilny sah auf seine Armbanduhr. »Eigentlich müßte sie längst mit den Formalitäten fertig sein. Gibt es noch einen anderen Ausgang?«
»Mehrere. Aber warum sollte sie dort hinausgehen? Es entspricht der Psychologie der Frau, daß sie ein Haus durch die gleiche Tür verläßt, durch die sie es betreten hat.«
Pilny hatte Lucek vor einer Viertelstunde vom medizinhistorischen Institut abgeholt. Er traf ihn in der Bibliothek an, wo er dicke Bücher über Schädeltrepanationen bei den alten Ägyptern wälzte und winkte ihn von der Tür des Lesesaales hinaus auf den Flur. »Komm mit«, hatte er gesagt. »Ich zeige dir ein Mädchen, wie es die genialsten Maler aller Jahrhunderte noch nicht gemalt haben. Sie kommt direkt aus Paris, studiert Medizin, ist einsam, sucht Anschluß, und da dachte –«
»Du bist ein wahrer Freund!« sagte Lucek und umarmte Pilny. »Wo ist sie?«
»Ab 11.30 Uhr im Sekretariat.«
»Dann los!« Lucek starrte auf die große Uhr im Lesesaal. »Die alten Ägypter haben 4.000 Jahre auf mich gewartet … sie können es auch noch bis morgen, ohne Schaden zu erleiden.«
Nun standen sie in der Haustür, rauchten und kamen sich vor wie Mädchenhändler, die ihre Ware erst von weitem begutachten, bevor sie ins Angebot steigen. Aber es machte Spaß … und wenn man so jung ist, wie es Lucek und Pilny waren, wer hat da kein Verständnis für sie?
»Da ist sie!« sagte Pilny plötzlich und gab Lucek einen Rippenstoß.
Die Tür hatte sich geöffnet. In ihrem weiß-roten Kleidchen trat Valentina in die helle Mittagssonne. Sie blieb stehen, schleuderte die langen Haare auf den Rücken und dehnte sich etwas, wodurch die vollen Brüste deutlich durch den Kleiderstoff stachen.
»Donnerwetter!« sagte Lucek begeistert. »Das ist ein Naturereignis. Und so etwas studiert Medizin, will Leichen sezieren und Eiterbeulen aufschneiden? Kannst du dir vorstellen, daß diese zarte Hand geschützt durch dünnen Gummi, in
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