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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wissen Sie. Kann man mit mir nicht reden? Bin ich nicht wie eine Mutter zu Ihnen gewesen?« Frau Plachová nahm einen Löffel und rührte in ihrem Kaffee, obgleich sie keinen Zucker hineingetan hatte. »Ist sie hübsch?«
    »Ein Engel –«, sagte Pilny verzückt.
    »Das ändert sich alles in fünfzig Jahren, wissen Sie das?«
    »Sie waren auch einmal jung und hübsch, nicht wahr? Ein Mann hat um Sie geworben, Sie haben geheiratet, Sie bekamen einen Sohn …«
    »Wo sind sie?« Frau Plachová sah starr an Pilny vorbei gegen die Wand. Dort hingen in runden Nußbaumrahmen zwei Bilder. Fotos, schon vergilbt, auf die Entfernung undeutlich. Ein Mann in der Uniform eines Eisenbahners. Ein Junge im tschechischen Militärrock. Um beide Rahmen war ein Trauerflor gewunden. Jedes Jahr zu Weihnachten erneuerte Frau Plachová diesen Flor und drapierte ihn um die Bilder.
    »Verzeihung«, sagte Pilny leise.
    »Jan Plachy wurde von einer Mine, die auf den Schienen lag, in die Luft gesprengt«, sagte Frau Plachová mit einer Stimme, als lese sie aus einem Sagenbuch vor. »Partisanen hatten sie gelegt, um einen deutschen Zug zu vernichten. Jan fuhr ihn … er mußte es. Mirko ergriffen sie, als er Munition in die böhmischen Wälder schaffte. Erst schlugen sie ihn halb tot, dann hängten sie ihn auf, an einen Galgen, den er sich selbst zimmern mußte. Bis heute weiß ich nicht, wo die Deutschen ihn verscharrt haben.« Sie wandte den Blick weg von den Bildern und starrte Pilny an, der mit gesenktem Kopf am Tisch saß. »Jetzt habe ich Sie, Karel Pilny … Sie sind mir wie ein Sohn … und nun wollen auch Sie von mir gehen …«
    »Es … es war ja nur ein Gedanke, Mutter Bozena«, sagte Pilny. O Gott, die volle Wahrheit kennt sie ja noch nicht. Sie wird mir die Kaffeekanne an den Kopf werfen und den Stuhl hinterher.
    »Es war ein schlechter Gedanke!« sagte sie hart. »Ich gebe Ihnen die Kammer dazu, und Sie zahlen keine Krone dafür! Bringen Sie heute abend Ihr Mädchen mit.«
    »Das ist unmöglich.« Pilny schüttelte den Kopf. »Es ist untragbar für Sie. Ich habe mir das alles genau überlegt, die ganze Nacht hindurch. Ich habe bei Ihnen eine Heimat gefunden, Mutter Bozena, aber was ich jetzt tun werde, zerstört diese Heimat.«
    »Blödsinn! Ich werde Ihr Mädchen wie eine Tochter aufnehmen, das wissen Sie.«
    »In diesem Falle können Sie das nicht.« Pilny sprang auf und lief um den Tisch herum. Ich muß es ihr sagen, dachte er dabei. Jetzt gleich muß es geschehen. Und wenn es eine Katastrophe gibt … wir können ihr nicht ausweichen. »Sie ist … sie ist eine Deutsche –«, sagte er laut.
    Frau Plachová schwieg. Sie saß kerzengerade auf ihrem Stuhl, ihr Blick wanderte wieder zu den nußbaumgerahmten Bildern mit dem Trauerflor. Karel Pilny hielt den Atem an. Die Vergangenheit war wieder Gegenwart, die Wunden brachen erneut auf, die Schmerzen zerrissen das Herz. Er zuckte zusammen, als Frau Plachovás Stimme die schwere Stille unterbrach.
    »Als sie geboren wurde, lebten Jan und Mirko nicht mehr. Was kann sie für die Taten ihrer Väter? Sehe ich so aus, als könnte ich über Generationen hassen? Bring sie zu mir, Karel –«
    Das war der Augenblick, wo Karel Pilny die alte, starre Frau umarmte, sie an sich drückte und ihr einen Kuß auf die welken, zitternden Lippen gab.
    *
    Gegen 10 Uhr – Karel wollte gerade abfahren zum Funkhaus – klingelte es. Das schwarze Teufelchen Valentina Kysaskaja, das sich jetzt Miroslava Tichá nannte, war gekommen. Frau Plachová öffnete, sagte: »Ach! Sie!« und ließ sie in die Wohnung. Wieder überkam sie das Gefühl von Gefahr. Sie hat mir nichts getan, ich sehe sie zum zweitenmal, dachte sie, aber alles in mir sträubt sich, sie allein mit Karel Pilny zu lassen.
    Frau Plachová beschloß, etwas zu tun, was sie sonst nie – oder nur in Ausnahmefällen – tat: Sie horchte an der Zimmertür, als sie Valentina zum Zimmer Pilnys geführt hatte. Sie legte das Ohr an das Holz und vernahm alles, was drinnen gesprochen wurde.
    Pilny begrüßte Valentina, wie man einen unbekannten, aber außergewöhnlichen Besucher begrüßt. Ein Blick genügte, um die wilde Schönheit der Kysaskaja zu begreifen. Sie hatte die langen schwarzen Haare offen über die Schultern fließen lassen. Die Brauen waren nachgezogen, die Lider mit einem dünnen Strich umrandet. Blutrot leuchteten die vollen Lippen in dem bräunlichen, einen Hauch ins Gelbe scheinenden Gesicht. Das hatte sie von ihrer Großmutter geerbt,

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