Bluthochzeit in Prag
beschütze das Mädchen, auch wenn es merkwürdige Sitten hat.
»Wo ist sie?« brüllte der erste sowjetische Offizier. Es war Major Krupkin, aber das wußte Frau Navratilová ja nicht.
»Weg –« sagte sie deshalb einfach. »Sie ist weg!«
»Wann …«
»Vor einer halben Stunde.«
»Allein?«
»Zwei junge Herren waren bei ihr.«
»Nawoss!« sagte Major Krupkin laut. Das heißt Scheiße und ist kein gutes Wort.
Er sah sich noch eine Weile im leeren Zimmer um, guckte unter die Matratze, öffnete alle Schubläden und Schranktüren, steckte den Kopf aus dem Klappfenster und starrte über die Schindeldächer der jahrhundertealten Häuser. Die anderen Offiziere standen herum. Der tschechische Hauptmann schien sehr fröhlich zu sein, er lächelte mokant, als Major Krupkin die Inspizierung aufgab.
»Beschreiben Sie mir die beiden jungen Burschen!« sagte Krupkin zu Frau Navratilová.
»Sie waren jung, sehr höflich, hatten große Eile und schoben mich in meine Wohnung, weil ich ihnen nur im Weg stand.«
»Würden Sie sie wiedererkennen … auf Fotos vielleicht?«
Frau Navratilová schien nachzudenken. Aus Zufall nur sah sie hinüber zu dem tschechischen Hauptmann und bemerkte, wie er ganz leicht, kaum merkbar, mit dem Kopf schüttelte.
»Nein!« sagte sie fest. »Es ging alles zu schnell. Aber ich glaube, einer von ihnen hatte rote Haare. Ja, feuerrote Haare. Das fiel mir auf, jetzt weiß ich es ganz genau. Ich dachte noch: Fast so rote Haare hat der Vaclav Hroubik. Das ist der Neffe meiner Freundin, der Frau Peterková, die hat um die Ecke ein Fischgeschäft und sagt immer –«
Major Krupkin wandte sich ab, schob die redende Frau Navratilová zur Seite und verließ das Zimmer. Rote Haare, notierte sich ein junger Leutnant, der hinter ihm ging. Wenigstens etwas. Beim großen Aufräumen unter den Intellektuellen Prags würde man einfach alle Rothaarigen verhaften. Das war ein einfaches Verfahren, hundertmal in Rußland erprobt und immer wirksam. Aussieben nannte man das. Wie aus hundert Kilo Flußsand ein Goldkörnchen gewaschen wird, so bleibt auch hier immer der Richtige hängen.
Unten im Wagen sah Major Krupkin mißmutig vor sich hin. Er war zu spät gekommen –, das hatte er fast erwartet. Daß aber jemand kurz vor seiner getarnten, im Wald versteckten Dienststelle einen Wagen einer Geheimpolizei überfiel und eine Russin klaute, das verletzte seine vaterländische Ehre.
Der dicke kleine Mann, der in Luceks Faust gelaufen war, saß unterdessen schon im Keller des Hauses der politischen Polizei. Man hatte ihn zunächst verprügelt und überlegte jetzt, was man mit ihm machen sollte. Er war jetzt ein armer Mensch und niemand gab mehr etwas dafür, daß er Bohumil Vlach hieß und einmal – 1945 – einen Orden wegen Tapferkeit gegen die Deutschen bekommen hatte.
Er saß in seiner kleinen Zelle und hatte hündische Angst.
*
Die kleine Wohnung Luceks lag im Stadtteil Smichov in einem stuckverschnörkelten Patrizierhaus aus dem 19. Jahrhundert. Eine stille Straße war's, mit Ulmen bestanden, einem Gehsteig und Vorgärten, in denen im Frühling der Oleander duftete und die Tulpen ihre Blüten öffneten. Auch hinter Michas Haus lag ein Garten, verwildert, verunkrautet, ein Paradies für Träumer. Der Besitzer des Hauses, Herr Petr Krdl, ein weißhaariger, vornehmer Herr, übriggeblieben aus der Kaiserzeit und von undefinierbarem Alter, war meistens verreist, lag in Karlsbad auf dem Balkon eines Sanatoriums und wunderte sich, daß er noch lebte. Er hatte vor Kaiser Franz-Josef noch die Schulmütze gezogen und »Hoch!« gerufen und wollte nicht verstehen, daß die neue Zeit besser sein sollte. Er überließ Micha Lucek die Schlüssel, damit die Putzfrau zweimal in der Woche das Haus fegen, die weißen Schonbezüge über den Möbeln ausklopfen und eine Stunde lang lüften konnte.
»Brauchst du mich noch?« fragte Pilny und setzte zwei Koffer ab.
»Nein. Danke. Das andere kann ich jetzt allein.«
»Was ohne Zweifel zu glauben ist.« Pilny gab Valentina die Hand. Sie lächelte ihn dankbar an. »Treffen wir uns heute abend im Keller?«
»Ich weiß nicht, ob ich kommen kann.« Lucek zwinkerte mit den Augen. Hau ab, hieß das. Jedes Wort ist jetzt zuviel. Pilny lächelte, winkte Valentina noch einmal zu und verließ das Haus.
Sie warteten, bis sie draußen das Gebrumm des sich entfernenden Wagens hörten, dann sahen sie sich an, lange, schweigend und doch alle Worte in ihren Augen.
»Komm –« sagte Lucek.
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