Bluthochzeit in Prag
Universitäten, eine Frau mit zwei Kindern, eine Aufnahme, die Dr. Matuc dreißig Jahre jünger zeigte, in der Uniform eines tschechischen Sanitätsoffiziers. »Ich bin Karel Pilny«, sagte er. Die Bilder waren ihm Beweis genug, einen echten Tschechen vor sich zu haben.
»Ach!« Dr. Matuc sah kurz auf. Er nahm einen Mullbausch, sprühte aus einer Dose Chloräthyl darauf und legte ihn vor Michaels Nase. »Halten Sie das mal fest. Tropfen Sie immer etwas nach. Er ist zwar noch bewußtlos, aber ich möchte nicht, daß er gerade jetzt aufwacht.«
Der Arzt hatte die Wundränder ausgeschnitten und desinfiziert. Jetzt sondierte er den Schußkanal. »Karel Pilny … Vor ein paar Stunden habe ich Sie gehört. Der Sender der Freiheit. Und dann mußten Sie plötzlich abbrechen.«
»Der Russe stand vor der Tür.«
»Wo hatten Sie sich denn versteckt?«
»Im Zoo. Im Raubtierhaus.«
»Tolle Idee. Und auf der Flucht ist das hier passiert?«
»Ja. Und wir müssen weiter, Doktor. Ich muß bis zum Morgen wieder senden!«
»Sie ja … dieser Mann nicht. Er muß operiert werden.« Dr. Matuc fühlte den Puls, zog die unteren Augenlider Luceks herunter, stülpte ihm die Lippen auf. Die Schleimhäute waren weißlich, kaum noch rosa. »Sehen Sie sich das an, Herr Pilny … der Mann ist fast ausgeblutet. Los, fassen Sie mit an.« Sie hoben Michael auf den Röntgentisch. Dr. Matuc klappte den Röntgenschirm herunter, schaltete ein und durchleuchtete.
»Wie ich's mir gedacht habe: Die Kugel sitzt auf der rechten Seite. Das ist relativ günstig. Relativ! Ihr Freund muß trotzdem operiert werden. Das heißt, er muß ins Krankenhaus.« Er warf den Chloräthylbausch in eine Glasschüssel.
»Ausgeschlossen!« Karel und Irena sagten es wie aus einem Munde.
»In einem Krankenhaus wäre er seines Lebens nicht sicher«, fuhr Karel fort. »Die Russen suchen ihn!«
»Und ohne Krankenhaus stirbt er uns hier auf dem Sofa.« Dr. Matuc ließ die Hand Luceks fallen. »Ich werde ihn nicht nach Prag bringen lassen, sondern ins Bezirkskrankenhaus nach Kladno. Der Chefarzt ist ein Freund von mir. Er wird diesen Mann verstecken.«
»Auch in Kladno wird es bald genug Kollaborateure geben, die Micha ans Messer liefern.« Pilny setzte sich neben Lucek auf das Wachstuchsofa und umfaßte mit beiden Händen den Kopf seines Freundes. »Haben Sie denn keine Möglichkeiten, ihn hier zu operieren?«
»Operieren? Ich? Lieber Herr Pilny, – ich bin praktischer Arzt. Um in der Tiefe des Brustkorbs zu arbeiten, habe ich gar kein Instrumentarium hier. Das einzige, was ich tun kann, ist, ihm eine Blutplasma-Infusion zu machen und ihm Antibiotika zu geben. Und im übrigen zu hoffen, daß kein größeres Gefäß verletzt ist – das kann ich nämlich auf dem Röntgenschirm nicht sehen. Aber das rettet Ihren Freund nur bis vor die Tore des Krankenhauses.«
»Versuchen wir es, Doktor. Bitte –«
Dr. Matuc sah Pilny groß an. In seinem Blick stand das Todesurteil Luceks. Dann sprang er auf, holte Hohlnadeln, Infusionsständer und die Glasflasche, stach die linke Armvene Luceks an und setzte den Tropfschlauch ein. Irena half ihm dabei, hielt den Arm Luceks richtig und achtete darauf, daß er sich nicht zu hastig in seiner Bewußtlosigkeit bewegte und die Nadel aus der Vene rutschte oder der Schlauch abgerissen wurde. Die Unruhe Luceks war stark … er warf den Kopf hin und her, sein Gesicht zuckte in schrecklicher Wildheit, mit den Beinen begann er zu treten. Als die Plasmaflasche halb leer war, wagte Dr. Matuc eine Injektion gegen diese Nervenverkrampfungen … es dauerte noch zehn Minuten, bis Lucek still lag, sein Atem ruhiger wurde und sein wachsbleiches Gesicht sogar etwas Farbe bekam.
»Wie sieht es in Prag aus?« fragte Dr. Matuc. Er holte aus dem Nebenzimmer eine Flasche Kognak, drei Gläser, einen Aschenbecher und eine Packung Zigaretten. »Ich war eine Woche lang nicht mehr in der Stadt. Meine Frau habe ich zu meiner ältesten Tochter nach München geschickt … als die Manöver der Russen begannen, als ob ich es geahnt hätte. Meine Tochter ist in München mit einem Architekten verheiratet, meine zweite Tochter lebt in Paris als Malerin, mein Sohn ist Ingenieur in Los Angeles. Die typische internationale tschechische Familie.« Er lachte gequält, goß die Gläser voll Kognak und reichte sie Pilny und Irena. »Nun ist der Russe da. Die Grenzen sind zu. Bleiben sie auch zu?«
»Das weiß heute noch keiner, Doktor.«
»Wird es einen Aufstand des Militärs
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