Bluthochzeit in Prag
Sprühkopf.
»Chloräthyl«, sagte er zu Lucek. »Wenn es überhaupt nicht mehr geht, sollen Ihre Freunde Sie einfach betäuben – und dann ab zur Klinik. Sie werden vor Schmerzen heulen wie ein Wolf.«
»Ich nicht, Doktor.« Lucek richtete sich auf und setzte sich. Den Arm mit der Infusionsnadel in der Vene hielt er langgestreckt von sich. Er schwankte im Sitzen, aber seine Selbstbeherrschung war so groß, daß er nach einigem Pendeln kerzengerade saß, den Kopf in den Nacken geworfen. Irena legte ihm die blutige Jacke um die Schultern. »Ich danke Ihnen, Doktor –«, sagte er laut.
»Warten Sie, ich hole Ihnen noch ein paar Hemden von mir und einen Pullover.« Dr. Matuc lief wieder durch die Wohnung, brachte einen Stapel Oberhemden, die ihm seine Frau vor ihrer Münchener Reise noch gewaschen und gebügelt hatte, und packte drei Stück und einen dicken Wollpullover mit Zopfstrickerei in einen Karton. »In den Wäldern, und ich nehme an, dorthin wollen Sie, ist es nachts auch im Sommer kalt.«
Pilny brachte unterdessen den Rucksack und das Paket in den Wagen. Mit einem Lederlappen, der sonst zum Fensterreinigen des Autos diente, wischte er Luceks Blut sauber von den Kunstlederpolstern und wartete dann, bis Irena und Dr. Matuc den noch ziemlich zitternd auf den Beinen stehenden Lucek die Treppe hinunterhoben und auf die Straße führten. Die frische Nachtluft traf Lucek wie ein Faustschlag … er sackte in den Armen Dr. Matucs zusammen.
»Es ist Wahnsinn, was Sie machen!« sagte der Arzt. »Ich müßte Sie zwingen, in die Klinik zu fahren! Aber – Gott verzeih mir – ich bin auch Patriot und sehe ein, daß jede Stunde für unser Volk kostbar ist.«
Sie schoben Lucek in den Wagen, er legte den ausgestreckten Arm auf seine Knie, drückte sich in die Ecke und schloß erschöpft die Augen. Sein Gesicht war wieder bleich, verfallen, leichenähnlich.
»Fahr –«, stammelte er. »Es geht schon. Verdammt noch mal, – es geht schon …«
Pilny drückte Dr. Matuc stumm die Hand, sprang dann hinter das Steuer und startete. Dr. Matuc sah noch im Rückfenster, wie sich Irena über Lucek beugte und seinen Kopf festhielt.
Er ist wieder ohnmächtig geworden, dachte Matuc. Er wird es nicht überleben. Wenn das Fieber kommt, der Wundbrand, die Eiterung, der gefürchtete Erguß in die Brusthöhle …
Er blieb vor dem Haus stehen und sah den Rücklichtern des Wagens nach, bis sie in der Ferne abbogen auf die Chaussee nach Pilsen. Nur bis Beroun wollte Pilny fahren und dann abbiegen auf die Feldwege, die in den Wald von Kralovice führten. Vielleicht stand der ihm zugeteilte Funkwagen noch in seinem Versteck. Vielleicht gelang es ihm, einen neuen starken Sender aufzubauen, der den Staatsrundfunk von Prag übertönte. Denn das war sein Plan … den regulären Sender zu stören und gleich daneben, ein paar Striche Bandbreite nur entfernt, seinen Freiheitssender zu etablieren. Stand der Wagen nicht mehr in seinem Versteck, wollte er abschwenken in den Böhmerwald und sich verkriechen in den Schluchten und dichten Wäldern, die seit Jahrhunderten als Schlupfwinkel dienten.
Dr. Matuc ging zurück in sein Haus und schloß sorgsam die Tür hinter sich.
*
Tschernowskij konnte es nicht mehr länger hinauszögern. Er ließ Valentina Kysaskaja zum Verhör vorführen. Er lehnte sich in dem Sessel zurück. Vor sich hatte er als Barriere einen breiten Schreibtisch, auf dem nichts anderes lag als ein Foto. Vergrößert 30 x 40. Ein etwas unscharfes, aus einer Menschengruppe herauskopiertes Porträt. Blonde, wirre Haare, ein zum Schrei aufgerissener Mund, ein verrutschtes Halstuch. Fanatisch leuchtende Augen.
Tschernowskij hatte diese Meisterleistung seines Fotografen lange betrachtet und dann in einer Anwandlung russischen Bauernzorns das Bild bespuckt. »Hund!« hatte er dabei gesagt. »Die Welt ist nicht groß genug, um dich zu verstecken!«
Valentina trat ein und blieb an der Tür stehen. Der Soldat, der sie gebracht hatte, wartete draußen im Flur. Krachend fiel die Tür zu. Sie war allein mit Tschernowskij.
»Sie wollten mich sprechen, Andrej Mironowitsch?« fragte sie, als Tschernowskij sie eine Zeitlang schweigend angestarrt hatte. Es klang so, als stände sie in Moskau vor ihm, bereit, einen neuen Auftrag zu übernehmen. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie mit einem Bindfaden im Nacken zusammengebunden. Der Pullover war an der Schulter zerrissen, das linke Bein der Blue jeans hing in Fetzen bis zu den Schuhen. Sie war
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