Bluthochzeit in Prag
ungewaschen. Der Straßendreck klebte noch in ihrem Gesicht und an den Händen. Nur die Rißwunde an der Wange war von einem sowjetischen Feldscher versorgt worden … er hatte einfach nach der Reinigung und Bepinselung mit Jod ein Pflaster darüber geklebt.
Tschernowskij ließ die Faust auf die Tischplatte fallen. »Was ist mit Ihnen los, Valentina Konstantinowna? Sind Sie wirklich verrückt? Warum haben Sie das getan?«
»Weil ich liebe –«, sagte sie ruhig.
Tschernowskij gab es einen Stich, den er von der Hirnschale bis zum kleinen Zeh spürte. Es war ihm, als habe ihn ein Stromstoß durchjagt. Nun brauchte er eine kurze Zeit, um diese Lähmung abzuschütteln. Er griff nach dem Foto und stellte es hoch.
»Den da –«, sagte er rauh.
»Ja.« Valentina sah auf den Kopf Luceks. Das ist vor dem Funkgebäude aufgenommen, dachte sie. Kurz, bevor uns die Rotarmisten wegdrängten. Wie herrlich Micha aussieht. So kraftvoll. So voll vulkanischen Lebens. Es konnte von ihm kein schöneres Bild geben als diesen vergrößerten Ausschnitt.
»Wie heißt er?« fragte Tschernowskij heiser.
»Karel, Frantisek, Petr, Pavel, Bohumil, Jan … was wollen Sie hören, Genosse Oberst? Wer gefällt Ihnen am besten?«
Tschernowskij ließ das Bild umfallen, mit dem Porträt nach unten. Valentina machte einen schnellen Schritt zum Tisch und drehte es wieder um. »Er liebte immer die Sonne –«, sagte sie dabei träumerisch.
Tschernowskij ballte die Fäuste. »Sie sind eine kleine, geile Hure geworden!« bellte er.
»Das war ich immer. Haben Sie es nie bemerkt, Andrej Mironowitsch? Die Aufträge, die ich in den letzten vier Jahren von Ihnen bekam, waren alle nur im Bett zu lösen. Ich habe Moskau nie enttäuscht. Ich habe mich, wenn's nötig war, für das Vaterland ins Bett gelegt. Wenn es vorbei war, habe ich stets gemeldet, was Moskau wissen wollte. Und nie hat es Sie gestört, Andrej Mironowitsch, wie die Meldungen zustande kamen.«
»Sie haben sich verliebt – das ist etwas anderes.« Tschernowskij sah Valentina Kysaskaja an, als habe sie ihn angeschossen. Ein leidendes Gesicht machte er, daß es einen jammern konnte. »Bisher kamen Sie immer zurück, erfüllten Ihre Aufgaben, betrachteten Ihre Liebhaber als Objekte, als Automaten gewissermaßen: Liebe hinein – Information raus. Das waren reelle Geschäfte. Aber jetzt haben Sie versagt! Jetzt haben Sie Ihr Herz entdeckt! Jetzt lieben Sie! Das ist Verrat … an Rußland … und an mir –«
»An Ihnen, Andrej Mironowitsch?« Valentina lächelte schwach. »Was bedeute ich denn Ihnen? Ein Schmetterling, mit dem man spielt, der Sie umflattern darf, der Sie mit seinen bunten Flügelchen erfreut … und den Sie dann umbringen, mit einer Nadel aufspießen und Ihrer Sammlung einverleiben.«
»Wissen Sie das so genau, Valentina Konstantinowna?«
»Ein Oberst der Roten Armee, ein Mann in Ihrer Stellung kann sich nicht scheiden lassen. Oh, sagen Sie nicht, Sie hätten mich geheiratet, Andrej Mironowitsch. Wegziehen, nach Osten, nach Irkutsk vielleicht oder Chabarowsk, an den Amur oder die Lena … trautes Glück in der Taiga, auf der Suche nach dem ganz persönlichen Paradies … wollen Sie mir das einreden? Sie hätten mich zu Ihrer Frau gemacht, mich, die Hure vom Dienst? Die Bettkatze des KGB? Sehen Sie mich nicht so an, Andrej Mironowitsch … Dieser Ausdruck stammt von Ihnen. Man hat ihn mir in Moskau mit Genuß wiedererzählt. Sie träumten davon, mich im Bett zu haben … warm, zusammengeringelt, immer bereit, mich auszustrecken und den hohen Herrn zu empfangen. Den Luxus des Alleinbesitzers wollten Sie. Sammlerstolz, weiter nichts. Der eine hängt sich eine goldene Ikone vom heiligen Eustach in die Ecke, der andere nagelt ein Elchgeweih über die Haustür. Sie wollten meinen Körper unter der Bettdecke. Ist das so, Andrej Mironowitsch?«
»Nein!« Tschernowskij wischte sich über die Augen. »Sie haben sich sehr verändert, Valentina. Weiß Ihr Liebster, wer Sie sind?«
»Nein.«
»Er wird es erfahren.«
»Wenn Sie ihn finden.«
»Er wird gesucht. Er kann nicht weit sein. Verwundet ist er, der blonde Bock.«
»Verwundet?« Valentinas Augen glühten plötzlich. Sie warf die Haare über die Schulter und sah jetzt so aus, wie Tschernowskij sie immer in seinen liebestollen Träumen gesehen hatte. Er hielt den Atem an und bewunderte diese brennenden Augen, die zuckenden vollen Lippen und das slawische Gesicht, das von innen heraus zu leuchten schien.
»Wo ist er?«
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