Bluthochzeit in Prag
Peljanow. Muratow hatte sie nicht das Zelt betreten sehen, so sehr war er mit Lobotkin beschäftigt gewesen.
»Wer ist das?« fragte Major Peljanow knapp.
Leutnant Muratow ahnte Unannehmlichkeiten. Er blieb am Zelteingang stehen und straffte sich.
»Das Mädchen wurde angetroffen, als es unsere Absperrungen überkletterte. Dabei stürzte es, und ich nahm es mit, um es ärztlich versorgen zu lassen.«
»Warum liegt darüber noch keine Meldung vor, Muratow?«
»Ich hatte dazu noch keine Zeit, Genosse Major. Ich habe mich nur um das Mädchen gekümmert.«
Peljanow sah Muratow streng an, aber dieser hielt den Blick stand.
»Eine Zivilistin im Militärlager –, sind Sie verrückt, Muratow? Wollen Sie Komplikationen?«
»Es war ein Notfall, Genosse Major.«
»Solange das Mädchen verbunden wurde … dann nicht mehr! Wissen Sie, woher sie kommt?«
»Aus dem nächsten Dorf. Ich glaube, es heißt Vltavice oder so ähnlich.«
Major Peljanow beugte sich über Irena und legte vorsichtig die Hand auf ihre Stirn. »Das Fieber ist ja schrecklich«, sagte er. »Sie muß sofort zu einem Arzt. Muratow, lassen Sie einen geschlossenen Wagen fertigmachen. Wir bringen das Mädchen zu seinen Landsleuten. Wenn irgend etwas mit ihr passiert … ich will mir nicht sagen lassen, die bösen Russen hätten ein Mädchen zu Tode gepflegt. Weg mit ihr zu den Tschechen!«
Zehn Minuten später trug man Irena, in eine Decke gewickelt, zu einem kleinen Lastwagen der Roten Armee. Muratow setzte sich neben den Fahrer, ein junger Soldat blieb hinten bei Irena. Vom Zelt des Kompaniechefs aus beobachtete Major Peljanow den Abtransport. Ein anonymer Anruf hatte ihn in dieses Waldstück gejagt. Jemand hatte am Telefon gesagt: »Im Lager VI bei Leutnant Muratow schläft ein Weib.« Wer das verraten hatte, war nicht festzustellen.
»Man kann es nicht verstehen«, sagte Major Peljanow, als der kleine Lastwagen das Lager in langsamer Fahrt verließ. »Mein bester Offizier. Nur blendende Zeugnisse. Soll in Kürze Medizin studieren. Und gerade er legt sich eine Privathure zu! Diese tschechische Luft muß wie Gift sein. Ich werde ihn nachher in den Boden stampfen, bis nur noch seine Nase herausguckt!«
So kam Irena Dolgan doch noch nach Horni Vltavice.
Es war zur selben Stunde, als Karel Pilny alles auf eine Karte setzte. Die Sorge um Irena machte ihn toll und überdeckte alle Vernunft.
Er ließ seinen Sender allein, trug Micha in die Höhle, deckte ihn zu und gab dem Phantasierenden noch eine Spritze. Ihm kann doch keiner mehr helfen, dachte er. Für ihn ist es zu spät. Aber Irena muß ich finden. Was soll diese Welt noch wert sein ohne Irena?
Er watete durch den Sumpf und wollte die Schlucht hinaufklettern, um der Spur Irenas nachzugehen, als er plötzlich Stimmen hörte. Dann krachten über ihm Zweige und trockene Äste, er preßte sich an den Hang, unter einen wilden Rotdornbusch, und wartete mit klopfendem Herzen.
Am Rande des Abhanges tauchte ein Mensch auf.
Stiefel, erdgrüne Hosen, eine bauschige Bluse, am Leib mit einem Gürtel gehalten, ein kahlrasierter Schädel. Er war allein, die anderen Stimmen entfernten sich langsam … und er stand oben an der Schlucht und sah mit großen Augen hinab auf den Sumpf, das wilde Gelände, die Felsen und Höhlen.
Und er sah Karel Pilny an, der sich gegen den Hang preßte und an den Busch klammerte.
Nur einen Augenblick lag eine atemlose Stille zwischen ihnen. Der Rotarmist am Rand des Abhanges war zu verblüfft, um sofort zu reagieren … Karel Pilny suchte nach einem Ausweg, nach einer geistesgegenwärtigen Tat, die ihn retten konnte. Er fand sie – und das alles geschah unheimlich schnell, instinktiv fast – in seiner Kenntnis der russischen Sprache.
»Hilf mir, Kamerad!« rief Pilny und klammerte sich an dem Dornbusch fest. »Ich bin beim Beerensuchen abgestürzt. Seit einer Stunde hänge ich hier. Hilf mir …«
Der russische Soldat oben am Hang kniete sich in den hohen Farn und blickte sich um. Seine Kameraden hatten sich schon so weit entfernt, daß nur noch lautes Brüllen sie herbeirufen konnte, aber damit war dem Menschen da unten an der Steilwand nicht geholfen. Außerdem war er zu verblüfft, heimatliche Laute hier in dieser fremden Wildnis zu hören.
»Ich helfe dir!« rief er zu Pilny hinab. »Ich komme zu dir hinunter. Ich hole nur einen starken Ast. Warte, Brüderchen –«
»Mach schnell! Ich habe keine Kraft mehr.« Pilny starrte zu dem jungen Russen hinauf, der hin und her
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