Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
verkündeten. Während die einen Jacobs Wunde noch mit einem zerriebenen Brei von Spitzwegerichblättern bedeckten und mit seinem in Streifen gerissenen Hemd verbanden, waren die anderen schon losgerannt. Hasteten atemlos auf die Krone zu, auf sich vor Grauen schüttelnde Frauen und Kinder, auf entsetzt blickende Bloßhäusler, auf sich in einem fort bekreuzigende Alte und Uralte. Und noch nie hatten sie Widerlicheres als die Reste dieser fast verdauten Leiche gesehen, gelbbraun zerfressene Rippenknochen, grauschwarz verlederte, mit Dreck verklumpte Gebeine und einen glitschigen, fahlgelben Schädel. Erbrochen aus einer schwarzen, nach Verwesung stinkenden Höhlung.
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Barbara und Bernhard hatten sich nicht mehr viel zu sagen, die Madame aus Burkheim und der Sohn Jacobs des Redners. Mit Maria in der Mitte bildeten sie hinter dem Priester die Spitze des Trauerzuges zum Friedhof. Vorher war Gottesdienst gewesen, und Hochwürden Von-der-Maultrommel, wie der musizierende Priester allgemein genannt wurde, hatte umständliche Betrachtungen über einen Spruch des Weisen Salomo angestellt. ‘Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt’. Ging es doch darum, das Geschick des mistelschneidenden Valentin Schnitzers zu deuten, des von den Franzosen gemordeten Rebbauern.
Hochwürden hatte sich eine anschauliche Predigt ausgedacht, aber leider wurde daraus eine blitzgescheite, und so blieb seinen Schäfchen nur übrig, weiter zu munkeln und auf das beschwörerische Raunen der Uralten zu hören. Wenigstens hatten sie verstanden, dass die unheimliche Grabesstätte, die der Herr Valentin dreißig Jahre zugedacht hatte, eine gewichtige Warnung sei. Die Warnung, von heidnischen Bräuchen und Aberglauben endlich abzulassen. Weil nämlich Vorsatz und Gedanken den Teufel auf den Plan riefen, der dann, wie geschehen, mit Feuereifer daran stricke, den Menschen an den Ort des Verderbens zu führen. Wehe dem, der dem Herrn sich nicht allein auszuliefern gedenke, hatte Hochwürden gedonnert. Bis in alle Ewigkeit wäre Gott ein eifersüchtiger Gott, der strafe bis ins dritte und vierte Glied! Natürlich hatte nicht einhellig festgestanden, dass die grässlichen Leichenreste in der Eichenhöhlung mit Valentin Schnitzer etwas zu tun haben müssten, aber es wurde zur Gewissheit, als Jan, der Totengräber, geholt wurde. Seine Aufgabe war es, die Teile einzusammeln und sie auf einem Leichentuch wieder zusammenzulegen. Und da waren eben die Knöchelchen des rechten Ringfingers bei aller Anstrengung nicht mehr zu finden. Mit Harken und Hacken hatte der Totengräber den ekligen Eichschlund ausgeschabt, Ungeziefer und schleimige Gallerte zu Tage gefördert und in uraltem Moder gewühlt. Dies durchzustehen war selbst für Jan ein höchst leidiges Geschäft, und als er schließlich nicht mehr wollte, spendierte das Dorf ihm genug Geld, dass er sich drei Tage lang ausgiebig betrinken konnte. So war es gewesen, und unter dem Gebimmel der Totenglocke wurde jetzt das um einen Holzrahmen genagelte Leichentuch mit Valentins Überresten in die Grube gelassen.
Maria ertrug es gelassen, ohne Schmerz. Hatte sie doch endlich Gewissheit, dass ihr erster Mann nicht den Qualen der Folter ausgesetzt gewesen war. Für sie glich das Kügelchen Blei, dass Jan in einem Schwall Gallerte herausgekratzt hatte, einem wiedergefundenen Schatz. Es war ihr genauso kostbar wie der Ring, den sie in dem kleinen Kästchen vor dem Herrgottswinkel in der Schlafstube aufbewahrte.
Von dem grausigen Fund profitierten jetzt als einzige die Bloßhäusler, aber auch nur, weil ihre Armut sie dazu zwang. Niemand sonst wollte mehr von diesem Blutholz, wie es jetzt schimpflich genannt wurde. Und die Bloßhäusler mussten schwören, es wirklich nur zu verfeuern. Gepackt von einem Würgen, hatte Barbara nur genickt, als einer von den Bloßhäuslern ihr alles erzählte, einen Tag nach dem Fällen, als sie sich dem geschlagenen Baum stellte. An ihr Fass hatte sie zuerst gar nicht gedacht, sondern lediglich an ihre Launen und Spiele, mit denen sie jenem toten Chevalier de chêne aufgewartet hatte. Ihm, der eine Leiche verdaut und von dessen Holz sie sogar gekostet hatte! Übergeben musste sie sich daraufhin, noch bevor sie den neugierigen Augen des Bloßhäuslers entkommen war.
Seitdem quälte sie eine beständige Übelkeit, die sich auch bis zur Beerdigung Valentin Schnitzers nicht verloren hatte. Noch Tage später noch wollten ihr Rieckes fürsorglich
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