Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Kammer verdiente nicht den Namen. Eigentlich war es eine Keuche. Eine Keuche mit vergittertem Fenster, vergitterter Tür, mit undichten Bohlen, aus denen Ohrwürmer und Silberfischchen krochen, eine Keuche mit einem Eiseneimer als Abort und mit einer in die Wand geschmiedeten rostigen Kette. Mit einem Hocker, wackligem Tisch und einer Militärpritsche möbliert. Aber sie war frisch gestrichen. Und sie hatte einen kleinen Kanonenofen, der im Winter die Verwahrungsbedingungen menschenfreundlicher gestalten sollte, vorausgesetzt, der Einsitzende zahlte das Brennmaterial und entschädigte den Eisenmeister entsprechend.
Besuch durfte sie nicht empfangen. Nur einmal die Woche ihren Anwalt.
Bernward war gestern dagewesen und hatte die tröstliche Botschaft gebracht, nur noch vier Tage bis zum Prozess. Und machte ihr Mut. Redete ihr zu. Nichts würde man ihr nachweisen können! Das Hauptargument hätte er schon trefflichst ausformuliert! Scherzte sogar, sie hätte doch schließlich den besten Verteidiger, der denkbar sei: einen in sie verliebten Anwalt! Trotzdem, jede Nacht fielen die Depressionen über sie her. Und wieder und wieder versuchte sie zu begreifen, weshalb sie jetzt hier einsaß, in Breisach, im Zuchthaus, in einer der besseren Keuchen, weil sie nicht zu den Ärmsten zählte und ihr `van` im Namen für Unsicherheit sorgte. Breisach, wie keck war sie den Mauern dieser Stadt entflohen, und wie demütigend wieder in sie zurückgekehrt! Stehend eingesperrt in das schmal aufgerichtete schwarze Geviert eines Schinderkarrens, von einem Esel gezogen und zwei Bütteln eskortiert. Ob die Nonnen davon wußten? Die Brüder in Ihringen und Tennenbach?
So quälend diese Befürchtungen waren, wesentlich zermürbender war der Vorwurf der Giftmischerei. Eine ungeheuerliche Beschuldigung! Vorgebracht von zwei ihrer Kunden, von denen der eine kein Geringerer war als Johann Litschgi, der Breisacher Trümmerhändler. Johann Litschgi, der an Fasnacht ihren Vin mousseux so in den Himmel gelobt hatte! Und warum? Weil er, sein Täubchen und ein Geschäftsfreund Kopfschmerzen und heftige Koliken bekommen hatten, angeblich ein paar Stunden nach dem Genuss ihres Mousseux. Vor gut einer Woche war dies gewesen. Zwei Tage nachdem Jacob Schnitzer sie besucht hatte! Natürlich hatten alle drei es zuerst auf ihr verdorbenes Mittagessen geschoben, aber dann … als Johann Litschgis Täubchen in ihrem Elend auf den Gedanken gekommen war, die Koliken mit einem Gesundheitsschluck vom van Bergenschen Mousseux auszukurieren – weil doch allgemein gesagt wurde, dass ein Schlückchen Champagner bei Leibschmerzen oft mehr helfe als bittere Tees -, hatte sie sich geschüttelt und erbrochen.
Barbara versuchte immer wieder, dies als Unwirklichkeit zu verdrängen, als einen nur von Fieberphantasien ausgedachten Alptraum, doch zu ihrem Entsetzen war er wahr. Ihr Mousseux hatte sich in einen übelschmeckenden, gallebitteren Trunk verwandelt! Dutzende von Flaschen! Bei allen, die ihn gekauft hatten, selbst in ihrem Lager! Die Briefe, die ihr Bernward gebracht hatte und die, welche gleich ans Zuchthaus adressiert waren, sprachen es ebenfalls überdeutlich aus. Schadensersatzforderungen wurden gestellt, sämtliche Bestellungen storniert. Sie war am Ende, ruiniert! Ruf und Name dahin!
11
In zwei Briefen war sie sogar beschimpft worden. Einmal als abgefeimte Buhlerin, die ehrbare Männer berauscht und dann zudringlich wird – auf diese Weise hätte sie sich in die Gesellschaft gehurt -, ein anderes Mal als schlicht niederes Wesen. Eine fe-mina sei sie, eine, die ihrem Geschlecht alle Ehre mache, Fe für fides und mina für minus, also eine, die wenig redlich ist. Und damit sei sie das Beispiel schlechthin für das von Natur aus schlechte Weib, bitterer als der Tod, einer Schlinge gleich, Herz und Hände nichts anderes als Stricke und Fesseln, ganz so, wie es Salomo in Prediger Sieben beschrieben habe.
Zwanghaft starrte Barbara auf diese verqueren Injurien, glotzte auf ihren Namen. Vor zwei Stunden hatte die Eisenmeisterin ihr diese bislang schlimmsten Briefe gebracht, mit blauen Flecken im Gesicht, eingehüllt in eine Wolke billiger Seife. Jetzt brachte sie das Essen, Biersuppe, Gemüseeintopf mit Markknochen, als Nachtisch Apfelkompott mit Gries. Verhungern ließ man sie nicht, schließlich zahlte sie gut.
»Soll ich den Eimer wegschaffen?«, wurde Barbara begrüßt. »Ich mach’s gern.«
»Das ist barmherzig, Eisenmeisterin«, erwiderte sie. »Darf
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