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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Niederrotweil strömten Mägde und Knechte, Kinder, Bauern und Winzer, Handwerker und Tagelöhner. Selbst aus Burkheim und Achkarren kamen welche. Schnell wie ein Gerücht hatte es sich herumgesprochen: Das Eichberger Naturwunder, die Oberrotweiler Tausendjahrseiche wird umgehauen. Viele Bloßhäusler waren unter den Scharen, mit hoffnungsvollen, hungrigen Augen. Denn hatte nicht irgendwer gesagt, es fiele auch etwas für sie ab? Borke, Reisig und Zweige, vielleicht sogar Holz?
    Das bunte Gewühl von Schaulustigen und Bloßhäuslern hatte sich über den Dorfplatz ergossen und verwandelte ihn in ein Heerlager mit plapperndem, aufgeregt hin und blickendem Fußvolk. Eine innere Stimme hatte jeden auf diesen Platz getrieben, und alle warteten auf etwas. Aus dem Singsang der Vorfreude, die aus jedem einzelnen fieberte, erwuchsen bald Spannung und Schweiß, und die Menge verdickte sich zu einem brodelnden Haufen, der zum kleinen Hain am Eichberg drängte. Doch wie Gefangene ihrer selbst wagte keiner, seine Schritte in die nur eine mögliche Richtung zu lenken. Ohne Führer kamen sie sich hilflos vor, und als Jacob, von Bernhard begleitet, mit schwerer Axt und Säge in den Kern der Masse vorstieß, sorgten diejenigen, die wussten, wer er war, für ein dem Anlass entsprechendes Spalier.
    Das Geplapper wandelte sich zum Gemurmel. Die weiter hinten Stehenden reckten die Köpfe, Mägde hoben die Kleinsten in die Höhe, und als ob die Leiber an unsichtbaren Marionettenschnüren hingen, strafften sie sich. In den Gesichtern sammelte sich Aufmerksamkeit, aber auch ein Ausdruck der hingebungsvollen Bereitschaft, Befehle entgegenzunehmen, die den ausgelöschten eigenen Willen ersetzten. Und Jacob sollte ihnen jetzt geben, was sie verlangten.
    Ohne Angst fühlte Jacob den stillen Druck und witterte, welch Gewürz in diesen atmosphärischen Sud gehörte. Behende stieg er auf den Rand des Dorfbrunnens, den Holzaufsatz mit der Kurbelvorrichtung im Rücken und ließ sich dann von Bernhard die Axt hochreichen, auf die er sich mit beiden Händen stützte. In wenigen Augenblicken wurde es still.
    »Warum ich jetzt hier oben stehe«, begann er seine Rede, »wird ein jeder von euch wissen. Dass ich es nicht mit Freude tu’, werden dagegen nicht alle glauben. Doch denen sag’ ich: Versetzt euch in meine Lage. Wie würdet ihr fühlen, wenn ihr Hand an etwas legen sollt, das nicht nur das eigene Leben begleitet hat, sondern Tausende andere Leben seit vielleicht tausend Jahren? Denkt ja nicht, dass es mich mit Stolz erfüllt, die Axt gegen einen Riesen zu erheben, der bis vor wenigen Jahren mit seiner ehernen Kraft jedem im Dorf und sicher auch allen Aushäusigen hier ans Herz gewachsen ist.«
    Jacob räusperte sich. Die Menge verharrte schweigend vor dem Dorfbrunnen.
    »Darum ist heute nicht nur für mich, sondern auch für euch ein schicksalhafter Tag. Zum Glück brauch’ ich uns deswegen nicht zu rechtfertigen. Denn wir alle wissen, welch unheilvolle Krankengeschichte unseren Eichbaum heimgesucht hat. Und wie jeder von euch die schlimmen Bilder des Verfalls im Gedächtnis hat, wird es niemanden geben, der nicht bis zuletzt auf ein Wunder gehofft hat. Dass es uns nicht gegönnt wurde, dafür können wir nichts. Aber unsere Enkel würden uns anklagen, würden wir gleichgültig oder gar mit Häme zugucken, wie der einst schönste und mächtigste Baum des Landes vor sich hinwest. Schutzlos den Unbilden des Wetters ausgeliefert, preisgegeben dem gierigen Ungeziefer, überzogen von hämischen Baumschmarotzern, die Geschwüre im edlen Holz wuchern lassen.«
    Er setzte kurz ab und warf einen Blick in die Runde.
    »Wie viel schöner und der Würde unseres Baumes angemessener ist es dagegen, sich den Nutzen vor Augen zu führen, den sein jetzt noch gesundes Holz verspricht! Wenn ich den Ärmeren sage, dass die Hälfte des anfallenden Holzes tatsächlich ihnen gehört, so enthebt dies mich, umständlich alle Vorteile aufzuzählen. Doch auch von allen anderen, die mithelfen wollen, das Unabänderliche ins Werk zu setzen, weiß ich: Sie tun es nicht mit Freude, nicht aus Nutzdenken heraus, aber sie tun es aus Verstand. Weil sie begreifen, dass im Lauf der Welt selbst einer Eiche nur ein Körnchen Zeit beschieden ist, weil sie wissen, dass es kein Ende ohne Anfang gibt, und weil der Tod in langsamer Verwesung gegen die Ehre ist. Niemand wird diesen Tag je vergessen können. Und darum lasst uns still beten, für unseren Baum und seine Seele, jeder für

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