Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
durchfuhr sie eine phantastische Ahnung. Rosenstock und Eiche, beide hatten sie den Tod gesehen, waren Zeuge eines Mordes. Das war das Gemeinsame. Und passte dazu nicht auch die von Catharina auf ihrem Geburtstag erzählte Geschichte aus dem Ovid?
Barbara verfiel in ein Grübeln. Doch je länger sie rätselte, umso wunderbarer erschienen ihr die Zusammenhänge. Dass die Oberrotweiler Eiche ein heiliger Baum wie in Sage und Märchen sei, und eine ähnliche Rolle in ihrem Schicksal spielen könnte wie der Rosenstock für den Spielmann, war zu unwahrscheinlich. Übermorgen war Gerichtstag. Wollte sie Bernward und den Schöffen etwa in letzter Minute mit einem Märchen kommen? Dass die wirkliche Welt von Geistern bewohnt wäre? In anderen Ländern feierte die Vernunft allenthalben Triumphe und sie spekulierte über einen Baumfrevel! Wo waren die Votivtäfelchen? Nicht einmal das abergläubische Landvolk raunte derartiges nach dem grausigen Fund zusammen. Und ihr Fass? Es sah so aus, wie alle anderen neuen Eichenfässer auszusehen pflegten, hellholzig, sauber und mit noch matt schimmernden Umreifungen. Dass seine Dauben aus jahrhundertealtem Holz gehobelt waren – vom Carlimännlein, dem Meister Jonathan im Frühjahr den Gesellenbrief ausgestellt hatte -, war das einzig Besondere. Zwar hatte der Carli beiläufig erwähnt, dass die Hobelspäne ein wenig dunkel gewesen seien, und er sich anfangs das Ziehmesser recht unsanft in den Leib gerammt hatte, aber so etwas passierte immer einmal. Nichts weiter war ja passiert. Deshalb saß jeder Küfer mit einer dicken Lederschürze an der Klemmbank!
Das Klirren der Kerkerschlüssel und die Stimme der Eisenmeisterin scheuchte Barbara wieder auf. Erst da bemerkte sie, dass Anna gar nichts mehr gesagt hatte. Sie war einfach eingeschlafen.
»Anna hat mich gut unterhalten«, flüsterte sie der Eisenmeisterin zu. Dann zog sie schnell ihren Geldbeutel unter dem Kopfkissen hervor und drückte der erwartungsvoll blickenden Frau, die anerkennungsheischend ihren gefüllten Korb präsentierte, ihre letzten Münzen in die Hand.
12
Bernward Gutrechter machte auf der Burkheimer Verhandlung seinem Namen Ehre. Der von den Fahnenbergs eingesetzte Schultheiß und die meisten Gerichtsleute waren ihm gewogen. Und allzu schwer wurde es ihm von vornherein auch nicht gemacht. Zum einen, weil seine Klientin sich bereit erklärt hatte, für allen Schaden aufzukommen und die bezahlte verdorbene Ware samt vormals in Rechnung gestellter Versandkosten auf sprichwörtlich Heller und Pfennig zu ersetzen. Zum anderen, weil der Name van Bergen viele Jahre für stets pünktliche und nicht unerhebliche Steuerzahlungen stand und weil der so trocken unbestechliche Ohmgelder den tadellosen Zustand von Keller, Trotte, Fässern und Flaschen bestätigte. Damit stand der schwerwiegende Vorwurf der Giftmischerei von Anfang an auf tönernen Füßen.
Ohne Schwierigkeiten konnte Bernward diesen Vorwurf entkräften, indem er erstens die Anschuldigungen der Betroffenen ins Verhältnis zu ihren Aussagen und ihrem jetzigen gesundheitlichen Zustand setzte, und zweitens auf die, wie er es nannte, unnachvollziehbare Vergiftungslogik hinwies. Beides könne folgendermaßen begründet werden, einmal ganz davon abgesehen, dass es, um den Tatbestand vorsätzlich giftmischerischer Absichten erhärten zu können, an jeglichem Motiv fehle. Keiner der van Bergenschen Kunden habe in einem auch nur annähernd wirtschaftlichen Konkurrenzverhältnis zur Beklagten gestanden. Und anderweitige persönliche Motive schieden wegen des ja sattsam geschilderten und im Protokoll nachzulesenden Phänomens als eines principium collectivum ebenfalls aus.
Zum ersten also: Die Tatsache, dass nach eidesstattlicher Versicherung des Klägers Johann Litschgi der zum Mittagsmahl genossene Vin mousseux ohne die geringste Beanstandung gewesen sei, könne nur dahingehend ausgelegt werden, dass er unvergiftet gewesen sein müsse, verglichen mit der am Abend geöffneten Flasche, deren Inhalt zwar normal riechend, aber von ekelerregender Beschaffenheit gewesen wäre. Der Giftvorwurf träfe allenfalls auf diese Flasche zu, da ja in der Tat das Erbrechen der mit dem Kläger Litschgi befreundeten Mamsell Schlecker durch einen Schluck daraus hervorgerufen worden sei. Doch dieser ursächliche Zusammenhang bedeute nach Sachlage anderer Aussagen nicht von vornherein, dass der Mousseux dieser Flasche vergiftet gewesen sein müsse. Denn übereinstimmend hätten alle
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