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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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verlieben und heiraten sich aus Langeweile, zeugen deshalb Kinder, gehen in die Kirche und ins Wirtshaus. Arbeiten und studieren aus Langeweile und machen noch mehr deswegen.’«
    Barbara schaute die Eisenmeisterin ungläubig an. Noch nie hatte sie solch hoffnungslose Worte gehört. Sie zu begreifen fiel ihr jetzt leicht, sich mit ihnen abzufinden dagegen umso schwerer. Sie wusste, dass ihr bisheriges Leben weit entfernt von derartigem Trübsinn verlaufen war. Vielleicht blieb sie deshalb stumm, denn was sie auch glaubte sagen zu können, in dem Moment, wo sie den Mund öffnen wollte, würgte sie sich wieder ab. Die Eisenmeisterin schien auch keine Antwort zu erwarten. Lächelnd schaute sie auf die Malefikantin, die jetzt ihr Kind kitzelte und mit ihm Hoppe-Hoppe-Reiter spielte.
    Leise setzte sie hinzu: »Vielleicht hab’ ich Euch etwas getröstet. Wisst Ihr, manchmal bekomm’ ich so eine seltsame Angst um mich. Da sitz’ ich dann, wenn der Mann saufen geht, in der Stubenecke und weine aus Mitleid mit mir selbst. Bis ich so leer bin, dass ich nichts mehr fühl’.«
    Müde erhob sie sich und schaute für einen Augenblick verträumt auf ihre Tochter, deren Gesicht glücklich strahlte. Barbara hatte sich ganz der Eisenmeisterstochter gewidmet, damit es die bedrückende Trostlosigkeit der letzten Sätze nicht hörte. Absichtlich wild tobte sie mit Anna herum und plötzlich wurde ihr bewusst, was in ihrem Leben fehlte. Sie schaute nur kurz auf, als die Eisenmeisterin sich mit einem freundlichen Blick verabschiedete und die Zellentür absperrte. Es bedeutete, dass sie zum Einkaufen ging.
    »Seid Ihr eigentlich auch Mama?«, fragte Anna, als Barbara sie erschöpft von ihrem Schoß hob. »Oder fehlt Euch dazu ein Papa?«
    »Den Papa hab’ ich schon«, sagte Barbara und legte sich auf ihre Pritsche. »Aber bis jetzt hab’ ich keine Mama sein wollen. Glaubst du denn, ich wäre eine gute Mama?«
    »Eine bessere Mama als meine Mama?«, fragte Anna und überlegte angestrengt, wobei sie zuerst langsam, dann immer energischer den Kopf schüttelte.
    »Nein«, sagte sie, »aber Ihr müsst einen besseren Papa haben.«
    »Das hab’ ich doch gar nicht gefragt«, entgegnete Barbara. »Die eigene Mama ist schließlich immer die beste, meistens zumindest«, setzte sie leise hinzu. »Und mit dem Papa …«
    »… das stimmt«, sagte Anna. »Aber ich tät’ Euch gern tauschen gegen ihn. Dann hätt’ ich zwei Mamas. Eine, die die echte Mama ist und eine, die G’schichten erzählt. Wenn ich traurig bin, geh’ ich zu Euch, wenn ich fröhlich bin zur Mama. «
    »Und was machen wir dann mit deinem Papa?«, fragte Barbara.
    »Den legen wir ins Grab«, sagte Anna trocken. »Den brauchen wir nicht. Weil er ja doch nur immer stinkt.«
    Das erste Mal überkam Barbara echtes Mitleid. Und sie ärgerte sich über ihre Hilflosigkeit. Außer hektischem Gestreichel hatte sie nichts Tröstliches anzubieten.
    Anna blickte sie erwartungsvoll an, dann kauerte sie sich ans Kopfende ihrer Pritsche, legte Barbara den Kopf auf den Bauch und starrte an die Decke. Nach einer Weile sagte sie: »Erzählt Ihr mir eine Geschichte?«
    »Weil du jetzt traurig bist?«, fragte Barbara.
    Anna schüttelte den Kopf, sagte aber leise: »Nein, weil ich nicht fröhlich bin. Erzählt Ihr mir eine Geschichte, die ganz traurig ist?«
    »Warum denn das?«, fragte Barbara. »Wäre eine lustige nicht viel schöner, jetzt? Ich kenn’ gar keine ganz traurige Geschichte.«
    »Doch!«, sagte Anna bestimmt. »Ihr wisst so viele. Wenn man nämlich nicht fröhlich ist, muss man eine traurige Geschichte hören. Dann geht’s einem besser. Das sagt immer die Mama.«
    »Wenn Sie es sagt«, erwiderte Barbara mit einem Lächeln in der Stimme »Also, es war einmal eine ganz stolze, wunderschöne Prinzessin …«
    Wie von selbst drängte sich ihr dieser Anfang auf. An jenes ihr von den beiden Kuhmägden erzählte Märchen hatte sie seitdem nie wieder gedacht. Jetzt war sie neugierig darauf, ob sie es noch richtig zusammenbrachte. Anna lauschte mit aufgerissenen Augen und offenem Mund. Und war bald so ins Zuhören versunken, dass sie sich den Daumen in den Mund steckte. Barbara hörte sich dagegen ungewohnt fremd, wie durch ein Tuch dumpf sprechen. Während sie erzählte, begann ein bislang stillstehendes Uhrwerk von Gedanken anzulaufen. Wie ineinandergreifende Zahnräder verhakten sich für Augenblicke Märchen und eigene Gedanken, und als sie den Vers des Spielmanns nachplapperte,

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