Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
schon von weitem. Das Schauspielervolk hatte sich am Fuß des steil abbrechenden Schlossbergs niedergelassen, der kirchturmhoch die Rheinebene beherrschte. Mit wenigen Schritten war man am Blauwasserbach, der wegen der nächtlichen Gewitter reichlich Wasser führte. Eigentlich kann es diesen Fahrenden gar nicht so schlecht gehen, dachte Jacob, als er die vielen bunten Wäschestücke zählte, die an den Leinen zwischen den Wagen trockneten. Aber sollte er Colette mit erhobenem Knüppel zwingen, Geld für das Findelhaus rauszurücken? Da würde er nicht weit kommen und hätte schneller einen ihren Köter an der Gurgel, als er sich würde umdrehen können.
Das Luder hatte ihn tatsächlich in der Hand. Denn wen würde er als Zeugen aufbieten können, wenn er die Vaterschaft bestritt? Im Dorf wusste jeder, dass er damals mit ihr poussiert hatte. Dumm wie er war, hatte er sogar in der Schankstube geprahlt, er würde sie ins Stroh schleppen und ihr dort den Stecken nach Rebbauernmanier einschlagen – so geil und stolz war er über seine Eroberung.
Heute war Sonntag. Am Dienstagabend hatte Jenne ihm den Brief an den Kopf geworfen. Am Mittwoch war er das erste Mal bei Colette, und am Freitag, nachdem er ausgekundschaftet hatte, dass Maria in derselben Woche niederkommen würde, hatten sie den Plan fertig. Am späten Nachmittag setzten dann schon die Wehen ein, als ob das Schicksal ihnen ein Zeichen geben wollte, dass es ihren Plan billigen würde. Jetzt hatte es Colette hoffentlich hinter sich. Jacob lächelte, denn er gestand sich seine Neugier ein – schließlich waren es seine Kinder. Bevor er losgeritten war, hatte er noch gewünscht, dass der Tod allen Pate stehen möge, aber je länger er auf den rot gestrichenen Kastenwagen blickte, umso mehr hoffte er, Colette zeigte ihm einen gesunden, kräftigen Sohn. Einen Stammhalter, wie sie es ihm in den schönsten Farben ausgemalt hatte.
»Oh, wie schön, mon cher ami! Tu es papa, Jacob!«
Colette war blass, aber bei bester Laune. Sie ruhte an die schmale Wand des Wagens gelehnt in einer Art Bettkasten, der nichts anderes vorstellte als einen vierfüßigen Holzrahmen, über den ein paar Bretter gelegt waren. Eine frische Schütte Stroh, über die ein weißes Leinentuch gebreitet war, ersetzte die Matratze. Die zwei dicken, mit schwarzem Samt überzogenen Kissen und die graue zusammengerollte Filzdecke, die ihr Kreuz und Rücken stützten, nahmen dem rohgezimmerten Holz etwas von seiner Ärmlichkeit, so dass es sich in dem auch innen rot angestrichenen Wagen aushalten ließ. Zudem schmeichelte der Duft, den die frischen Wiesenblumen ausströmten, die in dicken Garben an den Kerzenhaken hingen. Alles wirkte sehr sauber und hie und da trockneten noch die letzten Flecke des vor kurzem gefeudelten Bodens ein.
»Pas de cadeau, papa? Pas le plus petit cadeau pour la maman si courageuse, hm? Kein Geschenk, Papa? Nicht das klitzekleinste Geschenk für die so tapfere Mama?«
Colette strahlte Jacob an, der verlegen kaum wagte, ihr in die Augen zu schauen. Seine Wut war verraucht und jetzt schämte er sich, dass er nicht die kleinste Aufmerksamkeit bei sich hatte.
»Du darfst es auf den Arm nehmen, Papa«, sagte Colette, die Jacobs Schweigen nicht aushielt. »Ein Junge. Und der Schlingel hat auch schon getobt wie du. Aber wenigstens sieht er mir ähnlich. Eine nette Erinnerung für dich. Findest du nicht?«
Jacob starrte auf den schlafenden Säugling, der neben Colette auf einem Kissen lag, zugedeckt mit einem buntgeflickten Tuch. Noch immer wusste er nicht, was er sagen sollte, aber ebensowenig wagte er, sich zu seinem Kind herunterzubeugen – aus Angst, Colette würde ihn dann auslachen.
» Papa Jacob, qu’y a-t-il? Jacob, was ist? Sag bloß, du bist gerührt?« probierte es Colette noch einmal und klatschte vergnügt in die Hände, als Jacob endlich ein » Pardon, Mademoiselle « herauspresste, das genauso affektiert klingen sollte wie ihr Französisch, aber leider nur zu einem steifen Gruß geriet.
»War es schwer?« fragte er zögernd.
»Oh, es hätte wohl schlimm werden können«, sagte Colette ernst. »Die Hebamme war geschickt, aber hart. Mit den Nägeln hat sie mir drinnen den Leib aufgekratzt, bis mit einem Schwall das Wasser kam. Dann hat sie mir den Geburtsstuhl untergeschoben, und das erste hat bald den Kopf rausgesteckt.«
»Und wo …?«
» Il est mort, papa «, sagte Colette hart. Aber nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Nein, nicht ganz, so gut
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