Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
starrte Jacob in den Schein der flackernden Öllampe, Marias gerade eingeschlafenes Kind auf seinem Schoß. Ihre Tapferkeit hatte ihn ehrlich beeindruckt, denn es war eine viehische Quälerei gewesen. In der Strecklage sei das Kind, hatte die Hebamme gesagt, weil es aber das dritte wäre, würde es diesmal wohl gutgehen – sonst wisse sie auch keinen Rat. Mit diesem Trost hatte sie Maria allein gelassen und war geradezu erleichtert, dass Jacob sie fortgeschickt hatte – sogar mit Jennes ausdrücklicher Billigung. Wenn sie als Hebamme noch nicht einmal für einen Geburtsstuhl sorgen könne – Maria hatte das Pech, dass der Dorfschulze den einzigen Stuhl der Gemeinde ins Nachbardorf verliehen hatte – schafften sie es auch zu zweit, hatten er und Jenne sich selbstbewusst beredet.
Erst während der Geburt war ihm eingefallen, dass gar keine Hebamme bei der Geburt hätte dabeisein dürfen. Weil Maria jetzt doch Zwillinge bekommen musste! Dieser glückliche Zufall hatte ihn dann eifrig den Geburtshelfer spielen lassen. Maria wollte in der Hocke niederkommen, wozu sie unter den Achseln gehalten werden musste. So oft es nötig war, hatte er sich mit Jenne abgewechselt, Maria immer wieder mit Weingeist abgerieben und stets für warmes Wasser gesorgt. Dadurch, dass sie alleine waren, entfiel auch die sonst so gern von den Hebammen vorgenommene Nottaufe: Nichts als eine üble Geldschneiderei, die Entlohnung dafür, dass die Hebamme ein paar Taufsprüche plapperte, sobald irgendein Körperteil des Kindes zu sehen war – aus eingebildeter und noch mehr eingeredeter Angst, das Kind könnte in der letzten Geburtsphase plötzlich sterben.
Doch nun war es vorbei, und damit lag der zweite Teil des Plans vor ihm – die Mädchen zu vertauschen. Gestern in der Frühe war er bei Colette gewesen, hatte seinen Sohn geholt und das andere, in der Nacht verstorbene Mädchen, im Holzstall versteckt. Wie geplant, hatte er dann Maria und Jenne eingeweiht. Unter dem Siegel absoluter Verschwiegenheit hatte er einen Teil seines Geheimnisses preisgegeben: Er werde erpresst und müsse für einen Sohn, er heiße Bernhard, aufkommen. Das Kind sei zwei Tage alt, es würde der Dorfgemeinschaft daher nicht auffallen, wenn man erzählte, Maria Schnitzer hätte in ausgleichender Gerechtigkeit des Schicksals Zwillinge geboren. Dass er dies fordere, sei nicht viel. Im übrigen wäre es gerecht: Denn so wie er versprochen habe, für die Witwe Heiteren und ihr Kind zu sorgen, müsse Maria sich jetzt bereit erklären, seinen Sohn vor dem Dorf als ihr Kind auszugeben und es großzuziehen. Maria, bei der die Wehen eingesetzt hatten, war es gleich gewesen. Dafür, dass er sie in Ruhe ließ, würde sie seinen Bastard annehmen. Jenne brauchte er bloß mit Blicken drohen, sie musste mit ihrem Gesicht froh sein, auf einem so redlich geführten Hof dienen zu dürfen.
Jacob empfand keine Ablehnung mehr Marias Kind gegenüber, nur noch eine Art erschöpfter Gleichgültigkeit. Wieder hatte sie ein Mädchen geboren. Es würde jetzt für eine halbe Nacht seiner toten Tochter die Wiege abtreten müssen – seiner Tochter, die kalt und steif im Holzschlag lag.
Ganz einfach erschien alles auf einmal, selbstverständlich. Niemand würde aufwachen. Zu erschöpft schliefen Maria und Jenne. Jacob gab sich einen Ruck. Sechs, sieben Minuten würde Marias Kind jetzt in seiner Wiege schlafen dürfen, kaum mehr: gerade so lange wie er brauchte, um seine tote Tochter aus dem Holzstall zu holen. Es musste sein, er hatte keine andere Wahl. Sein Brauner war schnell gesattelt, viel Wegzehrung würde er nicht brauchen. Vor Aufregung quälten Jacob leichte Koliken. Im Holzstall nahm er Abschied von seinem toten Kind, das in hauseigenes, Schnitzersches Leinen gewickelt war. Colette, das Luder, hatte an alles gedacht. Dann schlich er zurück ins Haus.
5
Erst nach einer guten Stunde kam sein Körper etwas zur Ruhe. Das eintönig leichte Traben in der frischen Morgenluft ließ Jacob wieder gleichmäßig atmen, so dass die Bauchverkrampfungen sich langsam lösten. Aber kaum dass ihn sein Körper freigab, sprangen ihn die Zweifel umso heftiger an. Sie ließen nicht so einfach los wie das Leibgrimmen und in gleicher Lage hätte ihm jeder anständige Christenmensch beigepflichtet: Die Folter des Körpers ist wie der Brand eines Zimmers, die der Seele jedoch gleicht dem Brand eines ganzen Hauses.
Ja – er war rechtzeitig losgeritten, und sein Zeitgefühl sagte ihm, dass er bald in
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