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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Bahlingen eintreffen müsste. Nur, würde er dort auch befreit aufatmen können? Immerhin lag ab da das Bergland mit seinen in den Löß eingegrabenen Hohlwegen hinter ihm, und die Wahrscheinlichkeit, dass er ausgerechnet auf der anderen Hälfte der Wegstrecke über seine und Colettes Teufelei stolpern würde, war ziemlich gering. Aber aufatmen? Im Gegenteil! Jacob fürchtete eine ihn immer mehr verzehrende Wankelmütigkeit.
    Das andere Stück nach Emmendingen war noch eine starke Meile Wegs, gut befestigt und bei Helligkeit vergällte es Teufeln und Kobolden die Lust auf Schabernack – das einzig Tröstliche, nicht mehr und nicht weniger. Außerdem konnte man auf dieser Strecke seinem Gaul getrost in die Flanken treten. Aber heute? Wenn er um die Zeit des Morgenläutens auf dem Emmendinger Marktplatz eintreffen würde, wäre er dann ein Gezeichneter, oder, in Jacob regte sich Trotz, ein waghalsiger Hasardeur?
    Wovor Angst haben? Denn war bis jetzt nicht alles nach Plan verlaufen? Maria hatte ohne viel Aufhebens seinen Sohn angenommen und das Vertauschen der Mädchen war einfacher gewesen, als er es sich erträumt hatte. Jetzt brauchte er nur noch diese elsässische Fremdzeugung aus seinem Gesichtskreis verbannen. Dann würde er wieder aufleben und endlich als unbelasteter Hausherr auftreten! Und dann wären die schmachvollen Jahre als besserer Gesindeknecht des Elsässers für immer vergessen.
    Jacobs Brauner, ein alter Halbblüter, aber mit immer noch rabenschwarzer Mähne und gesunden Fesseln, war unterdes aus seinem leichten Trab in einen gelassenen Schritt gefallen. Dabei äpfelte er und Jacob begann wie unter Zwang, das satte, dumpfe Klatschen mitzuzählen. Der Dunkelritt hatte den alterstrüben Augen des Tieres das Letzte abverlangt und erschöpft verlangte es nach einer Rast. Jacob gab sich jedenfalls keine Mühe, es in die alte Gangart zu zwingen. Überdies gab ihm sein Magen eindeutige Signale und als ob dies nicht reichte, überfiel ihn zusätzlich bleischwere Müdigkeit. Weder die jetzt kühle, windige Luft noch die Erleichterung über die ersten Katen Bahlingens, die sich schemenhaft in der Dämmerung abzeichneten, konnten dagegen etwas ausrichten.
    Bis zum Dorfbrunnen war es nicht mehr weit und bis dorthin wollte er es noch schaffen. Wie ein Bettler würde er über das Brot, geräucherten Speck und den Käse herfallen. Ohnehin steckte in seinem Quersack immer ein Beutel mit Kautabak und bis auf den Most im Lederschlauch reichte dies für ein einigermaßen brauchbares Frühstück. Den dampfenden Zichorienkaffee gegen das Frösteln und das für die klammen Finger wohlig hartgekochte Ei würde er diesen Morgen jedoch entbehren müssen. Aber, murmelte Jacob leise vor sich hin, du hast es so gewollt und jetzt gibt es kein Zurück mehr.
    Zwischen zwei Kissen festgebunden schaukelte Marias Kind hinter ihm, ungetauft den Armen seiner Mutter entwendet. Gleich nach der Geburt hatte Maria es angelegt, war aber vor Entkräftung sofort eingeschlafen. Mit der Begründung, sie könnte es im Schlaf erdrücken, hatte er es ihr vor den Augen Jennes aus dem Arm genommen und die Magd zu Bett geschickt. Dann war sein Bubenstück an die Reihe gekommen: Geschickt hatte er den Hunger des Kindes nach dem Mutterbusen genutzt und ihm stattdessen den kleinen Finger in den Mund gesteckt. Nur, den hatte er immer wieder in einen Becher mit Sirupschnaps, Mohnöl und Honig eingetunkt: eine Mischung, die tiefsten Schlaf herbeizwingen sollte. Und tatsächlich: Nachdem ein dreiviertel Becher vernuckelt war, setzte es Ruhe. Nicht der geringste Seufzer war seit Beginn des Ritts mehr zu hören gewesen …
    Jacob tastete hinter sich nach den Kissen, in der plötzlichen Hoffnung, das Kind könnte seinen Schlaftrunk nicht überlebt haben. Doch schnell wurde er enttäuscht. Sein Handrücken spürte einen zarten, warmen Hauch – das Kind schlief fest, schlief seinen ersten Rausch aus. Ärgerlich wollte er ausspucken, doch dazu kam es nicht mehr. Denn im gleichen Augenblick, in welchem er rechts und links der Dorfhauptstraße Zäune und Mauern erblickte, bemerkte er den Uniformierten.
    Spitz schoss Jacob der Schreck in den Leib und seine schweißigen Finger gerbten die Zügel. Mit aller Kraft stemmte er seine Beine in die Steigbügel, was das Pferd zum Stehenbleiben zwingen sollte – doch es trottete unbeeindruckt weiter. Zwar hatte er in der ersten Sekunde nur etwas Weißes wahrgenommen, bald aber auch einen weißgerandeten Dreispitz

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