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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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über dem Kloster hatte sich der Himmel beinahe vollständig zugezogen. Vom Rande eines Wolkenlochs aber tauchten wenige Sonnenstrahlen die Kapelle in ein erhabenes Licht. Gregor fröstelte, und ein leichter Schmerz staute sich hinter seiner schweißkalten Stirn. »Es ist der Wahn«, sprach er vor sich hin, »es ist nichts, hörst du? Es sind Dämonen, die dich necken. Sie wollen ihren Schabernack mit dir treiben. Das Wetter macht sie toll.«
    Unschlüssig drehte er sich auf der Stelle und betrachtete das schmale gotische Fenster über der Tür, in dessen Glas sich der Himmel spiegelte. Doch sein Herz begann aufgeregt zu schlagen, als plötzlich ein heiserer Schrei herübergeweht kam. Und obwohl er gleich in ein Wimmern überging, verriet er Gregor, wohin er sich wenden musste. Er begann zu laufen, keuchte. Einzelne Schweißtropfen verfingen sich in seinen Wimpern, brannten in den Augen. Zum ersten Mal ärgerte er sich über sein Ordenshabit, zudem pumpte jeder Herzschlag einen neuen Schmerzblitz hinter seine Stirn. Beinahe ohnmächtig vor Schmerzen sackte er an der Klostermauer ins Gras, vor sich im hohen Gras graue Kissen mit einem schmutzig weißen Leinenbündel obenauf. Daraus ragte ein roter, fast kahler Säuglingskopf, dessen rissiger Mund schwach bebte.
    In Gregors Ohren pulsten harte Schläge, die das Wimmern des Kindes in wattige Ferne drängten, doch schon wühlten sich seine Finger unter das Leinen. Wenige Atemzüge später brachte ihn das auftrumpfend satte Gelb einer Butterblume wieder zu sich und im selben Moment spürte er das erste Mal in seinem Leben die warme Zerbrechlichkeit eines zarten Säuglingshinterkopfes.
    Unfähig sich zu erheben, presste Gregor das Kind an sich. Tränen brachen aus ihm heraus, denn mit einem Mal begriff er sein Leben und sein Schicksal: Dass er Werkzeug Gottes gewesen war von Anfang an, dass er ein Berufener war, dieses Kind zu retten, dass er jetzt irdische Vaterschaft für ein Findelkind antreten würde. Doch Gregor kam nicht dazu, sich in weiteren Betrachtungen zu verlieren, denn seine feste Umarmung war für das Kind alles andere als ein trügerisches Zeichen. Zitternd vor Anstrengung wimmerte sein Stimmchen in einem neuen Anlauf Durst und Hunger heraus und riss seinen Retter damit in die Wirklichkeit zurück.
    Hastig griff Gregor nach den Kissen und stieß ein kurzes Dankgebet hervor: Unversehrt war das Kind! Nicht eine Minute durfte er jetzt mehr verlieren. Schon blies der Wind wieder frisch und die blauschwarzen Wolken, die auf die Tannenspitzen des Hausberges drückten, kündigten ein kräftiges Sommergewitter an. Schleunigst ins Pfortenhaus musste er jetzt, zu Johannes, des Klosters Almosenmönch, wie er von den Konversen scherzhaft genannt wurde!
    10
    Kaum dass Gregor in die Küche getreten war, tobte das Gewitter los. Das grelle Licht, das die Blitze auf die gekalkten Wände schleuderte, hob die Wandborde mit ihren Krügen, Bechern, Tellern und Anrichtplatten gespenstisch hervor. Spukhaft golden glänze Messinggeschirr auf und die an krummen Haken hängenden Schöpflöffel und -kannen, Bratenwender und Rührbesen warfen bizarre Schatten. Vom Kamin zog Rauch in den Raum, in einem kleinen Haufen verglomm das restliche Holz des Vormittags. Von der Zugluft bewegt pendelte über der aschigen Glut, ein riesiger, halbvoller Wasserkessel und ab und zu quietschte es, weil das Eisen des Kesselhaken am Arm des mannshohen Wendebaums rieb. Noch deutlich hing der Geruch von Essig und Scheuersand in der Luft, ein Zeichen, dass die Küchenbrüder gerade erst mit dem Reinemachen fertig geworden sein konnten.
    Gregor setzte sich auf eine roh gezimmerten Holzbank. Er schaukelte das wimmernde Kind sanft in seinem Schoß und vertrieb sich die Zeit bis zum Eintreffen der Küchenbrüder, indem er der letzten halben Stunde nachhing.
    Mit solcher Wucht hatte er die Tür zum Pfortenhaus aufgetreten, dass sie an eine Truhe gekracht war. »Gott zum Gruß! Gelobt sei Maria!« hatte er voller Überschwang gerufen und Philipp, der nichtsahnend an der Tür gestanden hatte, konnte gerade noch wie ein Fechtmeister, der einem Degenhieb ausweichen muss, seinen Bauch einziehen. Mühsam musste der baumlange Cellerar sich wieder ins Lot balancieren und wäre dann beinahe doch noch auf ihn gefallen.
    Wie ein Lakai, der mit einem Tablett voller Schokoladentassen aufwartete, hatte er, Gregor, seinen Fund durch den Türrahmen gestoßen. »Bei der alten Kapelle, hinten! An der Mauer!« hatte er

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