Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
hatten sie ihn aufgegeben, als er die Franzosenkrankheit nicht mehr hatte verbergen können. Mit einem Venerischen, einem Lustseuchler, wie sie ihn hämisch nannten, wollte niemand mehr etwas zu tun haben. Gutes Geld hatte er verdient, denn seit der Krieg aus war und die neue österreichische Kaiserin von Freiburg aus das Land verwalten ließ, wurde dort viel gebaut. Da konnte er einfach nicht von den Huren lassen und hatte sich bei einer angesteckt. »Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um« hatte man ihn immer wieder gewarnt, aber er konnte nicht anders. Trotzig kam er ihnen dann immer mit dem Vers: »Wer schlägt von früh bis spät auf hartem Stein, der darf des Nachts am Tor der Venus sein.«
Immerhin waren die roten Flecken am Bauch und zwischen den Schenkeln von allein verschwunden. Selbst die hartnäckig juckende Pustel im linken Mundwinkel war abgeheilt. Und an seiner Rute hatte er gar nicht erst Auffälliges gefunden: kein Knötchen, keine Schwellung, keine Rötung, keine Schmerzen beim Wasserabschlagen – der beste Beweis also, dass das Geld für das Fläschchen mit der geheimnisvoll nach Kampfer und Salbei riechenden Flüssigkeit nicht umsonst gewesen sein konnte. Seine ganze Sicherheit hatte er aus diesem Fläschchen gezogen, das er von einem Pariser Kräuterkundigen gekauft hatte. Wenn er es einmal wieder nicht lassen wollte, hatte der ihm gesagt, bräuchte er vorher und nachher nur einen Tropfen am Eichelmündchen verreiben und alles Übel würde weggebrannt werden. Deutlich war dies dann auch jedes Mal zu spüren gewesen, und noch heute erinnerte Gregor sich an dieses Gefühl.
Wie erhaben war er sich damals vorgekommen! Wie hatte er sich nicht über die abergläubischen Dorftrottel amüsiert, die es nachts heimlich mit einer Stute trieben, weil sie glaubten, sie könnten so ihre üblen Säfte mit dem Schleim starker Tiere bannen. Aber dann fiel ihm ein halbes Jahr später plötzlich am Hinterkopf Haar aus. Nach einem Monat war er kahl und das letzte Weihnachtsfest war das einsamste seines Lebens.
Umbringen wollte er sich! In dumpfer Hoffnungslosigkeit hatte er sich am Weihnachtstag ins Münster geschleppt und dies auch nur aus reiner Gewohnheit. Nie war er im Glauben besonders fest gewesen. Das Schönste am Kirchgang war für ihn stets die Vorfreude auf die Schankstube danach gewesen. Einen Rest von Anstand hatte er lediglich dadurch bewiesen, dass er dann und wann den Gemeindegesang mitbrummte. Singen konnte er zwar kaum, aber er mochte Musik, und an den Festtagen war sie im Münster immer besonders laut und voll. Voller Verzweiflung hatte er nach der Feier einen Priester angesprochen, der ihm nach der Beichte geraten hatte, auf die Madonna von Altötting zu vertrauen: Vielleicht würde sie sich seiner erbarmen, wenn er am Aschermittwoch das silberne Tabernakel küsste! Denn sie, das müsste doch selbst er wissen, hätte schon viele erhört, die als Büßer zu ihr gepilgert waren.
Einen Tag vor der Wallfahrt hatte Gregor das erste Mal inbrünstig gebetet und geschworen, sein Leben zu ändern. Gott versprach er, ihm in der Einsamkeit zu dienen und als er sich nach der Aschermittwochsprozession merkwürdig gestärkt und erlöst fühlte, suchte er nach einem Orden, der sich ganz unter den Schutz der Heiligen Jungfrau gestellt hatte. Büßend wie ein Bettler war er ohne Ziel durchs Land gezogen, bis er nach Tennenbach gekommen war. Hier hatte man ihn gepflegt und schließlich aufgenommen, nachdem das Wunder sichtbar wurde: Es wuchs ihm neues Haar; Haar, das er auf einer zweiten Wallfahrt nach Altötting am Karsamstag der Seligen Madonna weihte.
All diese Erinnerungen drängten sich ihm, dem Konversenbruder Gregor Joseph Senft, oft auf. Besonders dann, wenn er um die Mittagszeit zur uralten Krankenkapelle der Tennenbacher Zisterzienser pilgerte. »Mein Bethaus« hatte er die vom Brand verschonte frühgotische Kapelle für sich getauft, denn seit dem Klosterneubau nach den Plänen des großen Peter Thumb hatte sie für die Mönche keine Funktion mehr. Dabei trotzte sie schon seit 500 Jahren den Jahreszeiten und Gregor hatte es sich zur Pflicht gesetzt, besondere Aufmerksamkeit auf sie zu verwenden – ohnehin war es als Steinmetz seine Aufgabe, alle klösterlichen Gebäude auf Schäden hin zu inspizieren.
Ein vollwertiger Konversenbruder würde er zwar erst nach dem gerade begonnenen einjährigen Noviziat werden, aber die dreimonatige Probezeit hatte er so glänzend bestanden, dass alle Konversen
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