Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Findelhaus. Auf dem Ammenmarkt gab’s oft nur schwache Weiber, da musste dann gefüttert werden. Eine Prise Mehl und etwas feingemahlene Gerste geben Kraft. Schmecken tut’s durch einen Löffel Sirup. Aufkochen. Das gibt jetzt einen dreiviertel Krug, der reicht bis morgen Mittag. Du weißt ja nicht, wie unser Alter entscheiden wird. Ob der’s schon weiß? Vielleicht kommt`s nach Freiburg! Denn die Mutter holt’s wohl kaum, wie?«
»Die Nacht muss es auf jeden Fall bleiben«, ließ sich Gregor aus seiner Ecke vernehmen. »Philipp wird es Vater Leopold melden. Aber eines weiß ich sicher: Einmal im Jahr muss ich’s besuchen, wie weit weg es auch sein sollte. Denn es ist ein Wunder, da mögt ihr alle lächeln. Tot wär’s sonst. Es ist ein Gnadenkind.«
Die letzten Worte waren trotzig gesprochen, was Martin aber nicht im geringsten herausforderte. Jeder im Kloster wusste, dass Gregor es mit Glauben und Beten immer ein Stück ernster nahm als alle anderen.
Unterdessen war auch Christoph wieder da. Er wuchtete zwei riesige Steingutschüsseln aus dem Regal und stellte sie auf die Arbeitsfläche neben den Wasserbecken. Bequem fing er die Forellen eine nach der anderen mit dem Handkescher und noch im Netz ereilte sie der Schlag mit dem Knüppel. Ein Schnitt und ein geübter Griff genügten Christoph, das Gekröse herauszureißen.
»Übrigens: Gekocht ist nicht gleich gegessen, Brüder«, sagte Christoph beiläufig. »So schnell wie gerade die Milch aufgestiegen ist, so schnell kriegt das Kleine sie jedenfalls nicht runter. Ein Krugschnabel ist schließlich keine Mutterbrust. Ich hoffe, du weißt auch hier Rat, Martin. Mit einem Trichter freilich wird es nicht gehen. War im Krieg vor hundert Jahren allerdings mal à la mode . Da hatte man die Bauern hier mit Gülle zum Platzen gebracht.«
Grinsend drehte Christoph sich um. So wie er dastand, bot er das Bild eines hämischen Schlächters, der mit blutigem Messer und Händen für ein Gemälde posierte.
»Was tut das jetzt?« brummte Martin ärgerlich. »Damals hatte Satan auch nicht Trauben getrottet, sondern Weinbauern. Meine Milch ist fertig.«
»Endlich«, sagte Gregor. »Schaut: ich glaube, das Kleine hat’s gerochen. Es blinzelt.«
»In Freiburg gab’s Saugzapfen«, sagte Martin und füllte die Milch in einen Steinkrug um. »Wenn ich könnte, würde ich welche herzaubern. Jetzt aber müssen wir uns wohl anders behelfen. Fragt sich nur, wie.«
Zu schwach zum Schreien verzog sich der kleine blasstrockene Mund des Kindes zu einer Grimasse. Nur ein zartes Fiepen ertönte, gerade stark genug, die Unterlippe in ein zittriges Beben zu versetzen. Dazu stand die in tiefe Furchen gefaltete Stirn in einem eigentümlichen Kontrast, der durch die hilflos, aber klug blickenden schwarzen Augen nur wenig gemildert wurde.
»Jesus Maria«, brummte Martin, »es ist schon halbtot.«
»Dann tu endlich was«, stieß Christoph hervor.
»Wie denn? Mit einem Trichter?« zischte Martin wütend.
»Nein, mit dem Finger«, fuhr Gregor dazwischen. »Mit dem Finger. Erst in den Krug, dann in den Mund – ganz einfach. Einer löffelt, beim andern rinnt’s am Finger runter. Das ist dann fast so, als ob es an einem Busen liegt.«
Gregor zog Martin den Krug aus der Hand und Christoph war gleich darauf mit Stuhl und Löffel zur Stelle. Gebannt blickten sie auf den dicken Milchtropfen, der von Martins kleinem Finger rann und zwischen den blassen Lippen zerlief. Ein kurzes Zucken der Unterlippe gab einen kleinen Spalt frei, in den Martin, so sanft er konnte, seinen Finger zwängte.
»Schnell! Mehr jetzt … Aber nicht zuviel!« rief er hastig. Vor Anspannung und in unbewusster Nachahmung bebten seine Lippen. Sogar die Zungenspitze schnellte ein paar Mal hervor. »Es trinkt«, gluckste er hervor. »Ich spür’ ein leichtes Saugen an der Fingerkuppe. Als ob dir ein Jungkarpfen den Finger küsst. Also mag es die Milch. Wusst ich´s doch.«
»Glückwunsch Bruder«, sagte Christoph. Nur Schade, dass ich nicht weiß, wie ein Karpfen küsst. Ihr habt´s gut. Ich täte gerne weiter zusehen, aber die Zeit rennt. Die Forellen sind weder gesalzen noch gemehlt. Wenn Carl nicht bald kommt, wird`s eng.«
»Der wird den Feldsalat stechen und auf ein paar Zwiebeln schauen«, sagte Martin. »Vielleicht ist er schon in den Beeten.«
»Oder zum Verkosten beim Bruder Kellermeister. Tischfässer füllen«, entgegnete Christoph.
»Das lohnt nicht«, sagte Martin. »Du weißt doch: Elbling bibendus est ,
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