Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
nämlich gern mit Justinger, dessen launige Art ihr melancholisches Temperament für eine Weile versüßte. Und es gab immer viel zu erzählen: Er lästerte über die schlechte Vermögensverwaltung und berichtete über die neuesten Intrigen im Rat, sie spottete ohne schlechtes Gewissen über die Leiden ihrer unbemannten Schwestern und die Begriffsstutzigkeit der Schülerinnen.
Heute war es besonders heiter gewesen. Bewusst hatte sie Justinger zu unanständigen Fragen aufgestachelt, weil sie ihm verraten hatte, wie sie einmal nachts die Küchenmagd mit einem Burschen erwischte: Gegenseitig hätten die sich an den Stellen des Körpers vergnügt, wo es nach Übereinkunft aller zivilisierten Menschen am unappetitlichsten sei, in einer nur bei Fabelwesen zu beobachtenden Verschlingung! Und das alles auf den bloß von der Schürze der Magd gepolsterten kalten Küchenfliesen! Völlig nackt!
Schwester Ute war dankbar, dass ihr Alter immer weniger auf solche oder ähnliche Teufelsbilder ansprach. Und weil sie wusste, dass sie und ihre Schwestern oft einen aussichtslosen Kampf gegen diese Versuchungen des Fleisches kämpften und gekämpft hatten, beließ sie es vor einem Monat bei einem Verweis an Ort und Stelle. Denn gestraft war die Magd schon deshalb, weil sie ihr jeden Tag unter die Augen treten musste und tagelang unter der Unsicherheit litt, ob Schwester Ute bei der Oberin Meldung machen würde oder es gnädig unterließ.
Die Anna Wettner im zwei Meilen entfernten Hochstetten aufzusuchen, entschied Schwester Ute, war nur dann von Sinn, wenn die beiden Unterstädter Ammen sich als untauglich für ihre Aufgabe erwiesen. Es müsse eine wirklich gute Amme sein, hatte die Mutter Oberin ihr aufgetragen, denn wenn Leopold Münzer mit einem so großzügigen Geschenk seine Bitte um Aufnahme dieses Kindes unterstreiche, wäre es politisch unklug, dieser Bitte nicht nach bestem Gewissen Folge zu leisten. Ein Hort für Findelkinder waren sie nämlich nicht. Aber bei fünfhundert Gulden Warentauschwert konnte man schon eine Ausnahme machen. Die Summe garantierte nämlich Vorräte für ungefähr fünf Jahre, eine gewaltige Entlastung also für die Stadt- und Klosterkasse. Außerdem gab es immer etwas instand zu setzen, und – in nomine Christi et Mariae – die Brüder Lohnarbeiter würden sicherlich einmal mit Hand anlegen, wenn man beim Abt darum bat.
Schwester Ute war zuversichtlich. Die Herdstatter Sophie war vor einer Woche von Justinger eingetragen worden und die Müllerngretel erst gestern. Sie würde sie schon ausfindig machen. Die Namen hatte sie glücklicherweise noch im Kopf – schließlich gehörte sie zu den Schulschwestern »Unserer Lieben Frau«, einer Congregation, die sich auf ihre Unterrichtstradition im Schreiben, Lesen und Rechnen einiges zugute halten durfte. Auf jeden Fall war es schön, aus der behäbigen Ruhe der Oberstadt in das quirlige Leben der Unterstadt eintauchen zu können. Dicht bebaut mit engen lauten Gassen und kurzweiligem Markttreiben pulste hier Breisachs Herz. Warm und durchaus schmutzig im Vergleich zum kühlen Münsterberg mit dem lanzenstarrenden Radbrunnenturm, dem ehrwürdigen Renaissance-Rathaus, den Bürgerhäusern und vielen Klöstern. Franziskaner, Kapuziner und die asketisch lebenden barfüßigen Augustinereremiten drängten sich seit Jahrhunderten hier oben, was die Stadt vor zwanzig Jahren nicht davon abgehalten hatte, als jüngsten Orden auch noch die Schulschwestern hier oben einziehen zu lassen.
Es war immer eine besondere Lust, aus dieser Atmosphäre der Studien und Glaubensexerzitien in den Sumpf der irdischen Geschäftigkeiten hinabzusteigen – mit der Sicherheit, ihr jederzeit wieder entrinnen zu können. Doch als Schwester Ute durch das Specktor trat, atmete sie erst einmal auf. Für den Rest des Vormittags lag die Oberstadt in ihrem Rücken.
Gleich am Eingang der Schiffergasse fragte sie einen rotznasigen Jungen nach der Müllerngretel.
»Die kenn´ ich nicht, Schwester«, antwortete der Junge bestimmt, ohne sie länger anzublicken oder zu überlegen. Denn er war viel zu sehr mit seiner Maus beschäftigt, die er am Schwanz wieder und wieder durch die Luft wirbelte, um anschließend zu beobachten, wie sie hilflos am Boden in die Irre lief.
»Aber du musst sie doch kennen«, bohrte Schwester Ute nach, die sich nicht dazu durchringen konnte, den Jungen wegen seines grausamen Spiels zurechtzuweisen. »Sie hat ein Kind bekommen, vor zwei oder drei Tagen.«
»Meine
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