Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Alters, Julian«, gab der Abt mit einem Seufzer zurück. »Allein, jetzt bin ich es, der in der Küche das Decorum , sprich das hier Angemessene, nicht zu kennen weiß. Vielleicht muss ich doch für heute Abend eine Einladung aussprechen.«
Währenddessen hatte sich Gregor mit hochrotem Kopf in das Unabwendbare geschickt und das Kind zu säubern begonnen. Notdürftig tat es das alte Baumwollene, was er noch in der Hand hatte, aber für Damm und Schamspalte reichte es nicht. Christoph erinnerten Gregors Nöte an den Auftrag des Abtes und unter entschuldigendem Gemurmel eilte er zur Tür.
Die selbstverständliche Unbekümmertheit, mit der das Kind seine Nacktheit genoss, fesselte die Aufmerksamkeit der Umstehenden. Die Natürlichkeit seiner Bewegungen und Geräusche, die Zartheit seiner blassen, wulstigen Haut mit den speckigen Fältchen, die ruhigen Augen, von denen der Blick auf das weiche Braun der wenigen Haare gerichtet wurde, lenkte von Wortplänkeleien ab. Dies dauerte zwar kaum länger als fünf Minuten, aber Gregor kamen sie wie eine Ewigkeit vor. Und so spürte er eine unbeschreibliche Erleichterung, als der Abt schließlich leise und nachdenklich sagte: »Auch wenn es eine Tochter ist, Gott hat sie uns nach Art der Mantelkindschaft überantwortet. So wie wir Zisterzienser uns unter den Schutzmantel der Heiligen Jungfrau begeben haben, so sind wir verpflichtet, es zu adoptieren.«
»Ihr meint im geistigen Sinne, Vater Leopold«, sagte Philipp, »da der heilige Bernhard uns den Umgang mit dem weiblichen Geschlecht verboten hat.«
»Gewiss, Philipp«, antwortete der Abt, »und unser Schrecken ist verständlich, denn schließlich schreiben uns die Statuten unseres Ordens vor, dass Hilfe aus Frauenhand, jedwelcher Art auch immer, ausgeschlossen ist.« »Nicht einmal die Klosterpforte dürfen sie überschreiten«, ergänzte Julian.
»Ja, auch dies«, sagte der Abt, »aber ebenso wie wir heute mit den Bildwerken und Malereien im Refektorium oder der Bibliothek den alten Regeln, die dies verbieten, nur sehr frei folgen, dürfen wir jetzt, nur weil es die Statuten so befehlen, nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren. Sind wir denn Pharisäer?«
»Vater Leopold, Ihr vergleicht das Kind mit einer Schlange?« fragte Julian erstaunt. »Erinnere ich mich doch gut daran, dass Ihr Euch vor kurzem so ausgedrückt habt: Eva sei, als das Gebot an Adam ergangen war, noch nicht erschaffen gewesen und könne folglich für die Erbsünde nicht verantwortlich gemacht werden?«
»Julian, wir sind in der Küche«, erwiderte der Abt ärgerlich. »Dein Drang zum Disput muss heute wohl allein mit den streitenden Naturgewalten zu tun haben. Aber sei’s drum, gibt es sonst noch gelehrte Anmerkungen? Alexander vielleicht?«
Bevor dieser aber antworten konnte, war Christoph wieder zur Stelle. Verschiedene baumwollene und leinene Tücher in unterschiedlichen Größen hingen über seinem Arm. Ein sehr feines davon, das gewöhnlich für Wundverbände diente, schwenkte er in der Hand. Es war mit Ringelblumenöl getränkt, dem uralten Hausmittel der Mönche bei Hautverletzungen.
»Gut, dass du kommst, Bruder«, sagte Martin. »Vater Leopold, wir sollten die Fenster schließen, denn die Luft ist jetzt zu feucht für unsere Tochter.«
»Nur zu«, sagte der Abt und trat einen Schritt zurück. »Bruder Christoph hat für alles gesorgt. Nur bin ich gespannt, ob Gregor unsere Tochter genauso gut verpackt, wie er sie ausgezogen hat.«
»Gelernt ist gelernt«, sagte Martin. »Wir werden es wickeln, dass man glauben könnte, wir hätten´s studiert.«
»Dies klingt geradezu übermütig«, sagte der Abt und wandte sich Alexander zu, der sofort ungeduldig zu reden anfing: »Ihr habt recht, Vater Leopold. Außerdem habt Ihr alle diejenigen gescholten, die sich im Paulinischen ‘Der Mann ist des Weibes Haupt’ allzu bequem einrichten.«
»Es ist eine Freude für mich, dass ihr so gut zuhört«, erwiderte der Abt, »aber wenn ich, wie gerade, bildlich gesprochen habe, muss daraus nicht gleich abgeleitet werden, ich führte ein Emblemata an. Pictura mea sine subscriptione comprehendatur – Mein Bild möge ohne Deutung verstanden werden.«
»In der Tat. Im Übrigen gilt: Die Seele des Menschen ist geschlechtslos und streng theologisch ist der Mensch als solches weder Mann noch Frau«, dozierte Philipp. »Nur um des Ziels der Fortpflanzung willen gibt es den Sexus. Er betrifft nur den Leib, nicht aber die
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