Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
Vom Netzwerk:
Seele.«
    »Philippus-Scholastikus«, sagte der Abt spöttisch. »Niemand wird es schaffen, mich jetzt in eine querelle des femmes , in einen Streit über die Natur der Frau, zu verwickeln. Punctum jetzt.«
    In der Zwischenzeit hatte Gregor Martin Platz gemacht, der das Kind auf einen Stapel baumwollener und leinener Tücher gelegt hatte, die er zuvor teils zu Dreiecken, teils zu schmäleren Streifen gefaltet hatte. Den zerwühlten Rest drückte er Gregor wieder in die Hand, dann fasste er ohne Scheu zu und rubbelte mit dem Ringelblumöl-Tuch die schon angetrockneten braungrünen Streifen ab, als hätte er nie etwas anderes gemacht.
    »Nehmt euch ein Beispiel an Bruder Martin«, sagte der Abt. »Ein Säugling will angefasst werden. Da tut es nichts, ob er cum vel sine membro virile , mit oder ohne männliches Glied, geboren wird.«
    »Einen Monat habe ich dem Findelhaus gedient, bevor die Berufung mich hierher gezogen hat«, sagte Martin. »Jetzt sehe ich, dass dieses beides zusammengehört, Vater Leopold.«
    Von dieser betulichen Ernsthaftigkeit gerührt, lächelte der Abt und eine lang entbehrte tiefe Freude erfüllt ihn, als Martin mit geübten Handgriffen bewies, dass er nicht übertrieben hatte. Schnell waren die Seitenzipfel des zuoberst liegenden dreieckigen Baumwolltuchs über den die Scham bedeckenden Mittelzipfel gezogen und jeder staunte, wie Martin, den sie doch alle nur als Koch kannten, die verschiedenen Zipfel untereinander verknotete. Mit jeder neuen Lage entstand ein immer dickerer tuchener Zylinder, der am Schluss so aussah, als wäre auf dessen eines Ende ein Säuglingskopf gepfropft.
    Mit einer demonstrativer Geste wandte sich der Abt an die Umstehenden und sagte mit bedeutungsvoller Miene: »Was Martin gerade gesagt hat, ist lehrreich. Ihr erkennt darin das Wirken Gottes, Brüder. Sein Geist weht wo er will, und wir hören seine Stimme, wissen aber nicht, woher er kommt, noch wohin er geht. So heißt es in der Schrift. Ganz schlicht hat uns Bernhard dies zusammengefasst, indem er spricht: Die Erfahrung Gottes ist Alltägliches. Wehe unserer Seele, wenn wir dies vergessen!«
    Nicht einmal Philipp wagte es, diesen Sätzen einen Kommentar folgen zu lassen. Wenn Abt Leopold so sprach, wussten alle, dass er von seinen Mönchen erwartete, dass sie die Generalregel des heiligen Benedict befolgten: »Mein Sohn, höre auf die Anweisungen deines Lehrers.« Denn auch wenn Leopold Münzer ein freisinniger Geist war, der den Disput über weltliche Dinge genauso zuließ wie die Erörterung theologischer Fragen: Das mönchische Schweigegebot galt in seiner strengen Form besonders dann, wenn Vater Leopold, fünfunddreißigster Abt des Klosters Tennenbach, den Ton des Predigers annahm.
    Doch daraufhin streckte er unvermittelt die Arme aus und sagte in seiner alten humorigen Art zu Martin: »Ich habe vorhin von Adoption gesprochen. Und dazu gehört, dass ein Vater seine Tochter wenigstens einmal auf den Arm nimmt!«
    »Ihr seid zu gütig, Vater Leopold!« entfuhr es Gregor, während Martin dem Abt das Kind reichte. Dieser stemmte es hoch und schaute ihm fest in die Augen. »Heute dürfen wir doppelt feiern. Weißt du, dass man sagt: ‘Solange eines im Hause ist wie du, das nicht sprechen kann, schlägt nie der Blitz ein’, hm?«
    »Ein Aberglaube, Vater Leopold«, sagte Julian.
    »Sicher, aber ein hübscher«, entgegnete der Abt und ließ sich das Kind von Gregor wieder aus dem Arm nehmen.
    »Dann kennt Ihr gewiss auch den Brauch, dass man nur einen Ochsenschädel an die Scheune nageln muss, weil die Hörner dann den Wetterdämon vertreiben?« fragte Christoph.
    »Natürlich«, entgegnete der Abt. »Und leider glaubt auf den Dörfern noch viel zu viel Volk daran. Wenn es in der Ferne donnert, jagt der Teufel die Guten, bei einem hellen Blitz hingegen jagen die Engel den Teufel. Da gibt es noch viel mehr. Aber Schluss damit. Ihr habt nur noch eine Stunde, dann muss aufgetragen werden.«
    Christoph erschrak, denn das zweite Blech war weder gefettet, geschweige denn belegt. Weil es draußen immer heller geworden war, hatten sich alle in ihrem Zeitgefühl täuschen lassen und auf das Vier-Uhr-Schlagen hatte vor Aufregung niemand geachtet.
    Außer Gregor, der dem Kind ins Gesicht lächelte, während er es auf seinen Armen wiegte, blickten jetzt alle gespannt auf den Abt. Leopold Münzer, wussten sie, verfügte über gute Beziehungen und das Kloster war nicht arm. Das Kind rein weltlicher Erziehung zu überantworten,

Weitere Kostenlose Bücher