Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
zum Beispiel bei einem der adeligen Gönner Tennenbachs, wäre ihm ein leichtes gewesen, aber seine Worte von vorhin standen dem entgegen. Philipp rechnete darauf, dass der Abt sich zuerst mit einer Frage an ihn wenden würde, um seinen Vorschlag zu hören und bekam vor Ungeduld geradezu einen stieren Gesichtsausdruck, doch Leopold Münzer lebte in diesem Moment ganz den machtbewussten Politicus aus, der seinen Willen beiläufig verkündet. Tatsächlich hatte er längst entschieden.
Etwas belegt klang seine Stimme, als er schließlich sprach: »Gregor wird diese Nacht die Pflichten einer Mutter auf sich nehmen müssen und daher in eines der Gästezimmer umziehen. Für heute ist er von allen Diensten befreit.« Nach einer kurzen Pause, in der er den Blick Gregors suchte, fuhr er fort: »Dies darfst du so verstehen, wie ich es gesagt habe, Gregor, denn von Gebet und Andacht mag unsere Tochter mit Sicherheit nichts wissen, wenn sie der Hunger neckt. Besprich dich mit Bruder Martin, der morgen noch einmal seine Verpackungskünste vorführen wird. Ich will, dass das Kind gepflegt aussieht. Und nun: Gott zum Gruß, Brüder.«
Julian und Alexander nickten. In Philipps Augen spiegelte sich die Kränkung, nicht gefragt worden zu sein. Doch darauf nahm der Abt jetzt keine Rücksicht, denn er war des Diskutierens müde. Nach einem schnellen Blick auf Martin und Christoph, die am Herd hantierten wandte er sich zum Gehen.
Kurz vor der Tür drehte er sich dann aber noch einmal um: »Nur weil eure Neugier in diesem Fall berechtigt ist: Bis Morgen wird Alexander einen Kontrakt über fünfhundert Gulden Warentauschwert aufsetzen. Mit dieser kleinen Mitgift wird unsere Tochter morgen eine Reise nach Breisach machen, wo wir sie den Schulschwestern Unserer Lieben Frau anvertrauen. Dort bekommt sie eine Ausbildung, die Verstand und Herz gleichermaßen fordert. Gregor wird Bruder Johannes begleiten.«
Gregors Seele jubilierte. »Sie ist eingeschlafen«, sagte er leise, als die letzten Schritte verklungen waren.
15
»Anna Wettner auf der Hochstetter Terrasse, Gretel Müllernzagel in der Schiffergasse, Sophie Härtstetter neben dem Kupfertor: beide in der Unterstadt.« Schwester Ute plapperte sich Namen und Adressen immer wieder vor, um sie nicht zu vergessen.
Der bullige Johann Justinger hatte ihr die Namen auf dem Rathaus gegeben. Er trug in Breisach und den umliegenden Dörfern für die Organisation des Polizeiwesens die Verantwortung und überwachte nebenamtlich das Wohlfahrts- und Ammengewerbe – die einzige Amtsstelle, die seit dem Aachener Frieden 1748 im österreichisch-französischen Erbfolgekrieg leidlich funktionierte. Dies allerdings nur, weil die Stadtkasse für die Wohlfahrt so wenig Geld übrig hatte, dass ein Aufwand gar nicht erst entstehen konnte und das Ammengewerbe außer Tinte, Papier und Zeit keine Kosten verursachte.
Vor einem Jahr hatte Justinger noch angeregt, für die erfolgreiche Vermittlung einer Säug- oder Trockenamme wenigstens einen winzigen Obulus zu kassieren, doch er war mit knapper Mehrheit der anderen Ratsmänner überstimmt worden. Da man noch nicht einmal eine Hebamme bezahlen könne, die Bewerberinnen auf körperliche und sittliche Konstitution überprüfe, sei ein solcher Obulus aus Gründen der Moral gegenwärtig nicht zu vertreten. Nur wenn die Stadt Garantien auf gesunde und nicht untugendhafte Ammen geben könne, käme eine Honorierung dieser Dienste in Frage. Deshalb möge er, der ehrenfeste Rat Justinger, bei allem Respekt für den Zeitaufwand, das Führen der jeweils vier Wochen gültigen Tabellen vor etwaigen Kritikern nur als allerersten Schritt eines fürderhin besser einzurichtenden Ammenwesens verteidigen.
Heute war das erste Mal, dass Schwester Ute Justingers »Ammencomptoir«, wie es allgemein in der Stadt genannt wurde, aufgesucht hatte. Bislang war sie nur als Zuträgerin bei ihm gewesen, einmal im Vierteljahr, um Meldung über Disziplin und Lebenswandel der Schülerinnen zu machen. Jedes Mal wunderte sie sich ein Stück mehr darüber, dass der dicke Ratsherr noch nicht explodiert war, so weinrot wie sein Kopf immer glühte. Die kleinste Bewegung strengte Justinger an und folglich hörte man schon auf den Gängen des Rathauses an seinem lauten Geschnaufe, hinter welcher Tür er gerade sein musste.
Justinger hatte ihr die drei Namen auf einen Zettel geschrieben, doch über ihre angeregte Plauderei hatte sie vergessen, diesen mitzunehmen. Schwester Ute unterhielt sich
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