Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
die frühen Morgenstunden aus und zwei besonders robuste Naturen schliefen lieber auf ihrem Stuhl ein, als mühselig im ersten Stock Zimmer und Bett zu suchen. Kurz nach Mitternacht war das Brautpaar entschwunden, was selbstverständlich mit Geschmunzel kommentiert wurde.
Rasch kam man in der Gesellschaft jetzt aufs Zotige. Bis zuletzt die vom Wein befeuerten Zungen, von Barbaras Reizen aufgestachelt, saftige Geschichten zusammenspintisierten. Geschichten, von denen jeder Mann träumt, die aber nur in wenigen Fällen so bunt gelebt worden waren. Denn mochten auch viele Eheliebste gute Hausherrinnen sein, mit den Jahren war bei ihnen das Sinnliche versiegt, was dann in den besten Fällen von geschärften Verstandeskräften ausgeglichen wurde.
8
Es war kein Grund, ihn zu verachten. Wahrscheinlich brauchte es nur etwas Zeit. Barbara nahm sich vor, nicht mehr an die gestrige oder vorgestrige Nacht zu denken. Denn was nützte es, sich mit so etwas das Gemüt zu beschweren. Bis zur Hochzeitsreise waren es gerade noch zwei Tage und waren sie erst einmal den Rhein hinunter in Amsterdam, würde es sicherlich ganz anders werden. Jetzt war es vernünftiger, alles von der harmlosen Seite zu nehmen.
Mehr schlecht als recht gelang es Barbara, sich mit solchen Überlegungen zu trösten. Denn jenes unerfreuliche impedimentum esse propter impotentiam , also Cees’ Versagen, die Ehe zu vollziehen, beschäftigte sie mehr, als sie es sich eingestehen wollte und vergällte ihr die Freude an der heute begonnenen Weinlese. Um zuzuschauen, hatte sie das neue Zuhause für einen Nachmittag verlassen, war aber gleich hinter dem Stadttor ins Grübeln gekommen. Nicht, weil sie sich grämte, noch Jungfrau zu sein, doch es gab jetzt auch keine Zweifel mehr daran, dass Cees sich zuweilen merkwürdig benahm. Immer wenn sie ihm zärtlich ihre Zuneigung beweisen wollte, wich er scheu zurück. Sonst war er ganz anders: unternehmungslustig, großzügig und wohltuend unkompliziert. Trotz seiner vierzig Jahre wirkte er nicht altväterlich, hielt auf gute Kleidung, war ein entspannter Zuhörer und konnte genauso in Genüssen schwelgen wie sie. Nur, warum entwickelten sich bei ihm immer dann Irritationen, wenn sie – wollte man es umständlich formulieren – Unternehmungen andeutete, die den physischen Zwecken der Ehe zugerechnet werden?
Verdrossen saß Barbara auf den Baumtrümmern und spuckte Kerne und Schalen vor sich hin. Sie aß die Beeren ohne Freude, obwohl sie süß und aromatisch schmeckten. Weiße Burgundertrauben, aus denen sich ein gehaltvoller, vielleicht sogar großer Wein ausbauen ließ. Doch solche Experimente begannen erst im nächsten Jahr. Diesen Herbst konnten die Vögel das van Bergensche Rebstück noch als Paradies betrachten.
» Oh mon chevalier de chêne!« rief sie beleidigt aus. »Er mag ihn nicht, den Holzhändler Cees van Bergen, oui oui. Und hat ihn wohl verhext? Je comprends , jetzt versteh’ ich!« Langsam schlenderte sie um den Stamm, befühlte die Rinde und bohrte die Finger in deren Schrunden. Aber nichts geschah.
» Mon chevalier , mir scheint, heute fordert Ihr keine Satisfaktion von mir?« sagte sie und streichelte mit ihrer Wange ein paar Mal über die Rinde. »Doch mit welchen Waffen sollte ich auch gegen Sie kämpfen!« Nachdenklich blickte sie in die Krone, dann lehnte sie den Kopf an den Stamm und lauschte. »Ihr antwortet in Eurer Sprache«, sagte sie nach geraumer Zeit, »ich hör’ es. Nur, wo gibt es das Wörterbuch, das mir Ihre Worte übersetzt?«
Dann, aus einer plötzlichen Laune heraus, vergrub sie ihr Gesicht in den dunklen Schrunden und flüsterte: »Mon chevalier , wenn Sie einverstanden sind: Ihre Freundin bietet Ihnen einen Kuss. Wär’ dies nicht wirklich ritterlich? Ihr habt mir mit der Schärfe Eurer Rüstung den ersten Hieb gesetzt, ich pariere mit, sagen wir, Zuneigung?«
Verwegen knabberte sie an der harten Rinde und schmeckte deren bitter-trockene Spröde. Nur wenig wunderte sie sich über ihre Narretei und, ihrer Sinne voll und ganz mächtig, schmiegte sie sich an den Stamm. Spiel und Ernst hielten sich zunächst die Waage, dann aber versponn Barbara sich immer mehr in ihr Tun und sah in dem Eichenriesen ein mächtiges Wesen, das auf geheimnisvolle Weise seine Rechte bei ihr einfordern wollte. Wie lebendig dieser Baum dastand, wurde ihr immer mehr bewusst und je intensiver sie sich mit ihren Sinnen auf ihn einstellte, umso selbstverständlicher erschien ihr, dass sie ihm als
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