Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
um diese Zeit?«
Jenne schüttelte bestürzt den Kopf und entschuldigte sich, dass sie Barbara so lange vor der Türschwelle habe warten lassen. Zwar kämen Jacob und Bernhard erst gegen halb sechs, aber selbstverständlich sei es für Maria, die Herrin des Hauses, eine große Ehre, sie solange unterhalten zu dürfen. Sie werde gleich in den Hühnerstall laufen und ihr den Besuch melden. Solange solle sie es sich auf dem Kanapee bequem machen. Darüber sei ein Bücherbrett. Maria sei nämlich eine gute Leserin und zwei Bücher wären ganz neu und wirklich schön, weil sie ans Herz gingen. Maria habe sie ihr vorgelesen.
Tatsächlich entdeckte Barbara zwischen zwei Bibeln, einem Predigtband des Abraham a Sancta Clara und Hagedornschen Gedichten, nicht nur den »Robinson«, sondern auch Gellerts »Leben der schwedischen Gräfin von G.« und Hermes’ »Geschichte der Miss Fanny Wilkes«. Natürlich kannte sie alle drei Romane. Denn mochten ihre Nonnen auch manchmal ziemlich bigotte Schwestern sein: als überzeugte Erzieherinnen wollten sie über die geistigen Moden Bescheid wissen. Und so war nicht wenig Geld in der Bibliothek angelegt worden, wobei Barbara früh herausbekommen hatte, wo die unterhaltsameren Bände standen. Schon als junges Mädchen dämmerte ihr bei der Lektüre des – ihr selbstverständlich verbotenen – Boccaccio, dass es mehr zwischen Mann und Frau geben müsse, als das Dogma der alleinseligmachenden Kirche zuließ. Dann der Tag, an dem sie zwischen staubigen lateinischen Kirchengeschichten ein schmales Octavbändchen gefunden hatte, in Französisch: Ihm verdankte sie nicht nur einen gewaltigen Fortschritt beim Erlernen der Sprache, sondern auch die Bekanntschaft mit jenen Geheimnissen, die sie sich vor dem Einschlafen nie so recht hatte vorstellen können. Denn wo es im »Hohen Lied« des Salomo nur heißt: »Seine Linke liegt unter meinem Haupt, und seine Rechte herzt mich«, da fing es in diesem Bändchen an! Seitdem wusste sie alles und zwar en detail. Von den Sehnsüchten der Frauen und den Wünschen der Männer.
Barbara aber hatte jetzt keine Lust zu lesen und so schlug sie den Hagedorn bald wieder zu. Im selben Augenblick hörte sie aber auch schon auf dem Flur Schritte. Mit einem Tablett, darauf einen Mostkrug mit zwei Bechern, trat Maria in die Wohnstube.
»Bring etwas vom Hefezopf, Jenne!« rief sie in den Flur. »Und wehe, du lässt es zu, dass der Caspar hier reinkommt!«
Während sie das Tablett auf einem Beistelltisch neben dem Kanapee absetzte, sagte sie bekümmert: »Madame van Bergen, Sie bekommen den schlechtesten Eindruck heute von uns. Die Jenne schwatzt, der Caspar rennt Euch beinahe um und mich trefft Ihr verhetzt an und nicht das kleinste bisschen hergerichtet. Wie soll ich das je wieder gutmachen?«
»Um Himmels willen, nein!« rief Barbara. »Ich schaff’ Ihnen Ungelegenheiten, weil ich in Ihr Tagwerk platze. Ist das etwa die feine Art? Und statt einer allergeringsten Aufmerksamkeit trag’ ich das Parfum der Eckerich-Schweine in Ihr Haus.«
Maria lachte kurz auf und klatschte in die Hände. Wie Barbara, die Maria mit leuchtenden Augen anstrahlte, freute sie sich über die hingeplauderten Höflichkeiten. Sie zog den hohen Armlehnstuhl, der neben dem Kachelofen stand, heran und setzte sich Barbara gegenüber. Jenne brachte einen Berg bebutterte Hefezopfscheiben, konnte aber nicht verhindern, dass Caspar ihr zwischen den Füßen durchhuschte und mit einem Satz neben Barbara auf das Kanapee sprang.
»Lassen Sie ihn ruhig«, sagte Barbara. »So drollig wie er ist, kann man ihm nicht böse sein. Diesen Wirbelwind zu bändigen, hat Jenne ja noch Zeit genug.«
» Ihr seid zu gütig, Madame van Bergen«, erwiderte Maria. »Hier weiß einer nur, wo es was zu holen gibt. Caspar hat längst heraus, dass Ihr ihm keinen Tritt verpassen werdet.«
Mit einem ansehnlichen Stück Hefezopf wurde Caspar vom Kanapee gelockt. Barbara schaute amüsiert zu, wie der Hund mit strahlender Miene nach den Leckerbissen happste. Damit ging er freilich in die ihm gestellte Falle. Denn Jenne packte ihn kurzerhand am Halsband und zog den kläglich jaulenden Gast unter strengem Zureden aus der Stube, wobei er sich auf der Türschwelle mit einem lauten Niesen verabschiedete.
Barbara begann die Unterhaltung, indem sie an den Gellert erinnerte, der seine Romanheldin sich nach Amsterdam retten ließ, die Stadt, die sie gerade auf ihrer Hochzeitsreise kennen gelernt habe. Allerdings gäbe sie gerne
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